21
Sep 2009

VG Bremen: Rechtmäßigkeit des bremischen Glücksspielwesens

Wieder ein Verwaltungsgericht (VG), das über den Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) entscheidet. Was also ist neu?

Mit Beschluss vom 30.07.2009 (Az. 5 V 327/09) hat das VG Bremen die Regelungen des GlüStV sowie des BremGlüG vorerst (!) als verfassungsgemäß eingestuft, europarechtliche Erwägungen ließ das VG hingegen außer Betracht. Aus hiesiger Sicht kann die Entscheidung nicht überzeugen.

In den Urteilsgründen heißt es:

„Das staatliche Sportwettangebot für die Freie Hansestadt Bremen verfügt nach der neuen Rechtslage über eine hinreichende suchtpräventive Ausrichtung, so dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts eingehalten werden. Mit dem neuen Glücksspielstaatsvertrag und den hierzu erlassenen Ausführungsgesetzen der Länder hat sich der Gesetzgeber innerhalb des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums (vgl. EuGH, Urt. v. 06.11.2003, Rs. C 243/01 -Gambelli-u. Urt. v. 06.03.2007, Rs. C 338/04; C-359/04; C-360/04 -Placanica-; BVerfG, Urt. v. 28.03.2006, 1 BVR 1054/01; BVerfG, Beschl. v. 14.10.08, 1 BVR 928/08) für die Beibehaltung des staatlichen Sportwettenmonopols entschieden [...]An der Verfassungsmäßigkeit des Glückspielstaatsvertrags und des BremGlüG bestehen keine Zweifel [...]Der Glücksspielstaatsvertrag entspricht [...] den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.03.2009, Az. 1 BVR 2410/08 und Beschl. v. 14.10.2008, Az. 1 BVR 928/08; OVG Hamburg Beschl. v. 26.09.2008, Az. 4 Bs 96/08, OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 04.12.2008, Az. 1 S 99/08; Sächsisches OVG, Beschl. v. 10.06.2009, Az. 3 BS 179/07; VGH Baden- Württemberg, Beschl. v. 11.02.2009, Az. 6 S 3328/08). Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 14.08.2008 ausdrücklich festgestellt, dass der Glücksspielstaatsvertrag vorrangig dem Ziel dient, die Bevölkerung, insbesondere Kinder und Jugendliche, vor den Gefahren der Glücksspielsucht und der mit Glücksspielen verbundenen Folge-und Begleitkriminalität zu schützen. Damit werden überragend wichtige Gemeinwohlziele verfolgt, die selbst objektive Berufswahlbeschränkungen zu rechtfertigen vermögen. Im Übrigen entsprechen die Regelungen des Glücksspielstaatsvertrages nach der oben zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Auch das zur Ausführung des Glücksspielstaatsvertrages erlassene BremGlüG entspricht bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nach Auffassung der Kammer den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (vgl. auch Beschlüsse der Kammer in den Verfahren 5 V 3212/07 sowie 5 V 3034/07). Beide Regelwerke, Glücksspielstaatsvertrag und BremGlüG, enthalten zahlreiche inhaltliche Beschränkungen zu Glücksspielen, restriktive Regelungen zu Vermarktung bzw. Werbung sowie zur Wahrung des Jugend-und Spielerschutzes (vgl. §§ 1, 4 Abs. 3, 5, 6, 10 Abs. 3 GlüStV, §§ 8 bis 11 BremGlüG). Zudem werden Veranstalter und Vermittler zur aktiven Suchtbekämpfung verpflichtet und eine ausreichende Distanz der Glücksspielaufsicht zu den fiskalischen Interessen verankert (vgl. § 11 GlüStV, §§ 8, 20 BremGlüG). Die von der Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 18.05.2009 angeführten Maßnahmen zeigen, dass in der Freien Hansestadt Bremen auch die tatsächliche Ausgestaltung des Glücksspiel-und Sportwettwesens den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Die Kammer verweist insoweit auf ihren Beschluss vom 04.01.2007, in dem die bereits im Übergangszeitraum getroffenen Maßnahmen als verfassungsgemäß gewürdigt wurden. Darüber hinaus wurden unter Geltung der neuen Rechtslage weitere Maßnahmen ergriffen, um die Ziele des Glücksspielstaatsvertrages umzusetzen. Seit dem 01.01.2008 ist das Spielen von Sportwetten und gefährlichen Lotterien in der Freien Hansestadt Bremen nur noch unter Verwendung einer Kundenkarte möglich. Hierdurch wird der Jugendschutz sichergestellt, gesperrte Spieler können erkannt werden und es gibt kein anonymes Spiel mehr. Bereits 2006 wurde damit begonnen, alle Druckerzeugnisse der Bremer Toto und Lotto GmbH zusätzlich zu der Umstellung auf einen informativen Inhalt mit Hinweisen auf die Suchtgefahren, Beratungsmöglichkeiten und Jugendschutz zu versehen. Zum Jahreswechsel 2007/2008 wurden alle Druckerzeugnisse mit dem Hinweis auf die kostenlose Beratungsmöglichkeit bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sowie dem Hinweis auf die vom Glückspiel ausgehende Suchtgefahr und das gesetzliche Verbot der Teilnahme Minderjähriger versehen. Zusätzlich wird bei der Werbung mit Höchstgewinnen die Gewinnwahrscheinlichkeit angegeben. Eine ebenfalls seit 2008 existierende Kampagne der BZgA und der Gesellschaften des Deutschen Lotto-und Totoblocks (DLTB) zur Vorbeugung der Glücksspielsucht wird nunmehr mit Plakaten und Flyern in allen Annahmestellen durchgeführt. Eine im Rahmen dieser Kampagne erarbeitete Internetseite (www.spielen-mitverantwortung.de) bietet die Möglichkeit zu einem Selbsttest und einer Onlineberatung an. Die BZgA unterhält zudem im Rahmen der Kooperation mit dem DLTB ein Monitoring-System zur Beobachtung von Trends in der Spielsuchtgefährdung und zur Maßnahmekontrolle. Anhaltspunkt für Vollzugsdefizite liegen nicht vor und wurden von der Antragstellerin auch nicht vorgetragen. Die zahlreichen von der Antragstellerin angeführten Werbebeispiele betreffen andere Bundesländer und beziehen sich nicht auf Werbung in der Freien Hansestadt Bremen. Der Erfolg dieser Maßnahmen zeigt sich insbesondere in den von der Antragsgegnerin dargelegten erheblichen Umsatzrückgängen im Jahr 2008 im Bereich von Sportwetten im Vergleich zum Vorjahr (bei Oddset ca. 30%, bei Toto ca. 40%, bei Keno ca. 35% und bei Plus5 ca. 35%). Damit ist auch das Argument der Antragstellerin widerlegt, es stünden fiskalische Interessen für die Beibehaltung des Sportwettenmonopols im Vordergrund."

Bewertung:

Das VG Bremen macht es sich besonders leicht, wenn es zur Rechtfertigung der hier streitgegenständlichen Untersagungsverfügung gegen einen privaten Sportwettenvermittler einfach auf die Nichtannahmeentscheidung des BVerfG vom 20.3.2009 beruft. Das Gericht hat in seiner ausführlichen Begründung zwar die grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung der Beschwerde verneint und deren Annahme auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers für angezeigt gehalten. Es hat jedoch gleichsam formuliert:

"Vorbehaltlich einer eingehenden verfassungsrechtlichen Prüfung der neuen gesetzlichen Regelungslage und der durch sie gewährleisteten Ausgestaltung des staatlichen Sportwettangebots im Rahmen von Verfassungsbeschwerden gegen fachgerichtliche Hauptsacheentscheidungen ist insoweit festzustellen, dass das grundlegende Regelungsdefizit, welches die alte landesrechtliche Regelungslage kennzeichnete, als grundsätzlich behoben angesehen werden kann" (S. 11 des Beschlusses 2). [Hervorhebungen durch den Verfaser]

Diese Passage belegt eindrucksvoll, dass das BVerfG die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Glücksspielstaatsvertrages gerade nicht grundsätzlich bestätigt hat (so auch Hilf/Ploeckl, ZfWG 2009, 8, 11; Schleter, Blinder Eifer - zur Sportwettentscheidung des BVG vom 20.03.2009).

Wie sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus März 2009 eindeutig ergibt, hält das Bundesverfassungsgericht vielmehr nach wie vor an dem Grundsatz einer kohärenten Glücksspielpolitik fest und lässt damit die tatsächliche Ausgestaltung des Monopols als Beurteilungskriterium der Verfassungsmäßigkeit keinesfalls fallen; das VG Bremen hätte sich dementsprechend hiermit auseinandersetzen müssen, anstatt ungeprüft und insoweit rechtsfehlerhaft auf die Nichannahmeentscheidung des BVerfG zu verweisen.

Des Weiteren - dies ist bedenklich - sieht das VG Bremen eine konsistente Glücksspielpolitik daran belegt, dass die Umsätze der staatlichen Lotteriegesellschaften seit Einführung des GlüStV stark zurück gegangen sind. Ob dies aber wirklich auf die konsequente staatliche Ausrichtung der Glücksspielpolitik an den Zielen der Suchtbekämpfung und des Jugendschutzes zurückzuführen ist, erscheint angesichts der zahlreichen durch die Land- und Oberlandesgerichte festgestellten Verstöße staatlicher Lotterieanbieter gegen den GlüStV mehr als fraglich. Hier sind Verstöße sowohl gegen den Jugendschutz als auch gegen die suchtfördernde Glücksspielwerbung zu Hauf festgestellt worden. Bereits der Umstand, dass es einer solchen gerichtlichen Feststellung bedurfte, zeigt, dass die staatlichen Monopolgesellschaften derartige Verhaltensweisen nicht von selbst eingestellt haben und dies mit Sicherheit auch in Zukunft nicht selbst einstellen werden. Wenn das VG Bremen nunmehr die Bemühungen und die Erfolge privater Glücksspielunternehmer darum, auch die staatlichen Monopolisten zur Befolgung des GlüStV anzuhalten, zum Anlass nimmt, von einer kohärenten Glücksspielpolitik auszugehen, so verschießt das Gericht die Augen vor den tatsächlichen Gegebenheiten. Diese zeigen, dass eine kohärente Glücksspielpolitik derzeit gerade nicht gegeben ist.

Dr. Robert Kazemi

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