Tücken im Notdienst – Haftet der niedergelassene Arzt für einen Behandlungsfehler seines Notdienst-Vertreters?
Viele, vor allem ältere Ärzte und Ärztinnen wollen sich nach Jahren der Praxistätigkeit und der Durchführung zahlreicher Notdienste vor allem aus letzterem Bereich zurückziehen. Eine vielfach genutzte Möglichkeit, sich des ungeliebten vertragsärztlichen (Pflicht-)Notdienstes zu entziehen, ist der Rückgriff auf junge Kollegen, beispielsweise aus Krankenhäusern, die sich hier einen Nebenverdienst schaffen. Unproblematisch? Nicht unbedingt, jedenfalls wenn man sich das am 10. März gesprochene Urteil des Bundesgerichtshofes näher betrachtet (Urteil vom 10.03.2009 – VI ZR 39/08)
Obwohl die Entscheidungsgründe noch nicht vorliegen, lässt das zu erwartende Urteil aufhorchen. Der 6. Zivilsenat des BGH formuliert in seiner Pressemitteilung:
„ Notfallarzt kann Verrichtungsgehilfe des niedergelassenen Arztes sein, für den er den Notfalldienst übernimmt […] Der BGH hielt die Haftung der Beklagten zu 2 und 3 als Geschäftsherren für den Beklagten zu 1 als Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB nicht für ausgeschlossen. Voraussetzung ist hierfür, dass der Beklagte zu 1 in einer gewissen organisatorischen Abhängigkeit zu den Beklagten zu 2 und 3 stand. Dies sowie, ob die Beklagten zu 2 und 3 gegebenenfalls ein Überwachungs- und Auswahlverschulden trifft, bedarf weiterer Aufklärung, weshalb die Sache an das Berufungsgericht zurückgegeben wurde.“
Was heißt dies für den niedergelassenen Arzt?
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
A arbeitete im vertragsärztlichen Notfalldienst, anstelle seines niedergelassenen Kollegen B. Angerufen von C suchte A diesen zu Hause auf und verabreichte ihm ein Medikament gegen Gastroenteritis. Am Nachmittag des Folgetages erlitt C einen Herzinfarkt, an dessen Folgen er später verstarb. Die Kläger (Erben des C) machen geltend, B habe für den Behandlungsfehler des A einzustehen, weil der A im Notfalldienst als sein Erfüllungs- bzw. Verrichtungsgehilfe tätig geworden sei.
B hat sich darauf berufen, dass er mit dem im Notfalldienst tätigen Arzt praktisch keinen persönlichen Kontakt hätte. Die erbrachten vertragsärztlichen Leistungen würden nur aus Praktikabilitätsgründen über ihre Praxis abgerechnet. Das Gleiche gelte für die Verordnung der Medikamente durch den Notfallarzt auf dem Rezeptformular der Praxis.
Logisch? Auf den ersten Blick natürlich. Dennoch ist B in erster Instanz verurteilt worden. Überrascht? Das war die zweite Instanz auch und wies die Klage gegen B zum größten Teil ab. Der Bundesgerichtshof hingegen scheint mehr auf der Seite der Erben zu stehen und bringt nun eine Haftung des B wieder ins Spiel.
Worauf beruht dies?
Nach dem vom BGH zitierten § 831 BGB haftet wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt grundsätzlich für den Schaden, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt.
Der BGH hält es nicht für ausgeschlossen, dass der Notdienstvertreter ein solcher „Verrichtungsgehilfe“ ist. Zu Recht?
Wir finden nicht!
Als Verrichtungsgehilfen qualifiziert die Rspr denjenigen, dem von einem anderen, in dessen Einflussbereich er allgemein oder im konkreten Fall steht und zu dem eine gewisse Abhängigkeit besteht, eine Tätigkeit übertragen worden ist (BGH VersR 1998, 862 f; BGHZ 45, 311, 313 = NJW 1966, 1807; BGHZ 103, 298, 303 = NJW 1988, 1380). Die Einstandspflicht des Geschäftsherrn aus § 831 betrifft dabei aber grundsätzlich nur den Einsatz derjenigen Personen, die im Interesse des Geschäftsherrn tätig sind und deren Tätigkeit in erheblichem Umfang von dessen Weisungen abhängig ist.
Sicherlich wird der Notfallvertreter im Interesse des niedergelassenen und originär (!) zur Erbringung des Notdienstes verpflichteten Vertragsarztes tätig. Doch scheint aus hiesiger Sicht schon fraglich, ob tatsächlich eine Abhängigkeit des Notfallvertreters angenommen werden kann. Maßgebliches Kriterium ist hier nämlich in erster Linie Art und Umfang des Weisungsrechts des Geschäftsherrn, wenn er die Tätigkeit des Gehilfen jederzeit beschränken, untersagen oder nach Art, Umfang und Zeit bestimmen kann (BGHZ 45, 311, 313). Der Notfallvertreter entscheidet jedoch selbständig, aufgrund eigener ärztlicher Fachkunde, ob und welche Maßnahmen er ergreift. Er ist hier – schon aus berufsrechtlichen Gründen – nicht von der Weisung des Vertragsarztes abhängig. Dies aber schließt eine Haftung aus.
Weiterhin gilt: Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl der bestellten Person und die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat.
„Beauftragt“ ein niedergelassener Vertragsarzt einen ebenfalls approbierten – nur nicht zur vertragsärztlichen Versorgung – zugelassenen Kollegen, mit der Wahrnehmung des Notdienstes, kann und darf er aus hiesiger Sicht grundsätzlich auch von der fachlichen Befähigung des Kollegen ausgehen. Auch aus diesem Grunde scheint die Haftung des B ausgeschlossen.
Es bleibt abzuwarten, wie das OLG nun entscheiden wird. An dieses ist das Verfahren wieder zurückverwiesen worden.
Dr. Robert Kazemi
Update:
Zwischenzeitlich sind durch den BGH auch die Urteilsgründe veröffentlicht worden. Leider zeigen auch diese kein anderes / erfreulicherers Bild. Der BGH sucht hier offenbar einen Vergleich zu seiner Praxisvertreter-Entscheidung zu ziehen. Aus hiesiger Sicht verkennt das Gericht damit jedoch die Besonderheiten der Notdienstorganisation in den Notdienstordungen und -plänen der einzelnen KV-Bezirke. Es ist aus hiesiger Sicht nach wie vor fraglich, ob ein - selbstständig tätiger - Vertreter tatsächlich als sog. Verrichtungsgehilfe eingestuft werden kann. Dies hat der BGH (erfreulicherweise) offen und der Entscheidung des Berufungsgerichts überlassen. Es bleibt also abzuwarten, welche Feststellungen das OLG nun trifft, an das der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde.
Dr. Robert Kazemi