Praxissoftware muss werbefrei sein
Bislang war Werbung innerhalb von Praxissoftware grundsätzlich und ohne Einschränkung erlaubt. Dementsprechend erzielten viele Praxissoftwarehersteller ihre Einnahmen auch nicht originär aus dem Softwareverkauf, sondern zu einem großen Teil auch über Werbekunden.
Eine neue gesetzliche Regelung sieht nun vor, dass nur solche Software in Arztpraxen zum Einsatz kommen darf, die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zertifiziert worden ist. Vertragsärzte dürfen hiernach für die Verordnung von Arzneimitteln nur solche Arzneimittel-Datenbanken einschließlich der zu ihrer Anwendung notwendigen elektronischen Programme (Software) nutzen, die die Informationen gemäß § 73 Abs. 8 Satz 2 und Satz 3 SGB V enthalten und die von der Prüfstelle der Kassenärztlichen Bundesvereinigung auf Basis der jeweils aktuellen Anforderungskataloge für die Kassenärztliche Versorgung zugelassen (Zertifizierung) sind. Es sind nur solche Arzneimittel-Datenbanken einschließlich der zu ihrer Anwendung notwendigen elektronischen Programme (Software) und ihrer Folgeversionen (Updates) zuzulassen, die dem Vertragsarzt eine manipulationsfreie Verordnung von Arzneimitteln ermöglichen.
Im Anforderungskatalog der KBV wurden daraufhin für Werbung bestimmte Pflichtfunktionen eingeführt, Werbung darf zukünftig insbesondere nur noch in Form gesonderter, direkt erkennbarer und mit einer einzigen Aktion entfernbarer Werbefenster in die Praxissoftware integriert werden; hinter einer Werbung zudem darf keine Funktion hinterlegt sein, die unmittelbar zu einer Arzneimittelverordnung führt.
In diesem Anforderungskatalog sahen einige Hersteller von Praxissoftware eine unrechtmäßige Beschränkung ihrer Unternehmensfreiheit. Der Anforderungskatalog zwinge sie, ihr bislang werbefinanziertes Geschäftsmodell umzustellen. Damit aber bewirke der Anforderungskatalog Softwareentwicklungskosten in Höhe von ca. 15.000,- Euro und Kosten für ein Sonderupdate in Höhe von ca. 22.500,- Euro. Für den Fall, dass die Werbefinanzierung der Software entfalle, werde dementsprechend mit Umsatzeinbußen in Höhe von 40 % gerechnet (ca. 5 Mio. Euro).
In einem Beschluss vom 17.02.2009 (Az. L 7 B 115/08 KA ER) entschied nun das Landessozialgericht Berlin Berlin-Brandenburg, dass die Praxissoftwarehersteller diese Konsequenzen hinzunehmen haben. Der durch die Zertifizierungsrichtlinien bedingte Eingriff in die Berufsfreiheit der Softwarehersteller sei gerechtfertigt, weil der Gebrauch manipulationsfreier Praxissoftware durch Vertragsärzte einen erheblichen Gemeinwohlbelang darstelle, den es zu schützen gilt. So sei die Regelung deshalb erforderlich, weil “klar nachvollziehbar“ sei, dass in der Vergangenheit „Praxissoftware auf dem Markt war, die stark manipulativ auf den Prozess der Verordnung von Arzneimitteln wirkte, indem einseitig und auf verschiedene Weise Produkte einzelner Hersteller in den Vordergrund geschoben wurden“.
Ob die Argumentation des LSG wirklich greift, bleibt abzuwarten. Insbesondere ist fraglich, ob sich der niedergelassene Arzt tatsächlich von der Werbung hat beeinflussen lassen. Denn nach wie vor kann davon ausgegangen werden, dass Ärzte nach medizinischen Notwendigkeiten und nicht nach ansprechenden Werbebildern entscheiden. Bis zu einer abschließenden Klärung gilt jedoch die heile, werbefreie Welt in der Arztpraxis. Vielleicht aber auf Kosten der Ärzteschaft, denn die Verluste werden sich (wohl) im Preis niederschlagen.