OLG Köln: Nach „DocMorris“ keine Stagnation auf deutschem Apothekenmarkt – Verkauf von rezeptpflichtigen Arzneimitteln mit 10% Preisvorteil gegenüber AMPreisV zulässig
Ist es zulässig rezeptpflichtige Arzneimittel auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit einem Preisvorteil von 10 % gegenüber dem nach der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) zu berechnenden Preis zu verkaufen und zu bewerben?
Spontan möchte man müde lächeln und die Frage mit „natürlich nicht“ beantworten. Spontanität kann jedoch manchmal fehl am Platze sein. Wer nach der Entscheidung des EuGH eine Stagnation auf dem deutschen Apothekenmarkt befürchtet, liegt falsch. Denn das Oberlandesgericht (OLG) Köln beantwortet die eingangs gestellte Frage mit JA (OLG Köln, Urt. v. 08.05.2009, 6 U 213/08).
Der Fall:
Eine in den Niederlanden ansässige und zugelassene Apotheke warb gegenüber deutschen Kunden mit dem Verkauf von verschreibungspflichtigen Arzneien zu einem Preis von 10% unter den Preisen nach der deutschen AMPreisV. Dem liegt folgendes „Modell“ zu Grunde:
Deutsche Apotheker verteilten im April 2008 ein Werbeprospekt, in dem die in E (Niederlande) geschäftsansässige N Apotheke B.V. als "N Vorteil24" die Gewährung eines zehnprozentigen Preisvorteils (mindestens 3,00 EUR, höchstens 25,00 EUR pro Packung gegenüber der deutschen Arzneimittelpreisverordnung) auf alle in Deutschland erhältlichen rezeptpflichtigen Medikamente – erhältlich in den deutschen „Partnerapotheken“ – auslobte. Der Bestell- und Auslieferungsvorgang auf diese Weise zu beziehender Arzneimittel ist derart ausgestaltet, dass der Patient in einer der deutschen Partnerapotheken, auf Wunsch nach Beratung, ein Formular über die Bestellung eines Medikaments bei der N Apotheke B.V. ausfüllt und dem Mitarbeiter der deutschen Apotheke das zugehörige Rezept übergibt. Dabei kann der Kunde wählen, ob er das georderte Arzneimittel in den Geschäftsräumen der niederländischen Apotheke in E abholt oder letztere bevollmächtigt, einen Kurierdienst mit dem – dem Kunden mit einem Entgelt von 0,50 EUR pro Bestellung in Rechnung gestellten - Transport des georderten Medikaments von dort zu einer der deutschen Partnerapotheken zu beauftragen. Als Erfüllungsort ist nach § 7 der auf der Rückseite des Bestellformulars abgedruckten, vom Kunden zu akzeptierenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Geschäftssitz der N Apotheke B.V. vorgesehen. Das ausgefüllte Bestellformular leiten die Partnerapotheken an die niederländische Apotheke weiter, welche die Medikamente ihrerseits von einem deutschen Großhändler bezieht. Sofern sich der Patient – wie überwiegend - für eine Auslieferung des bestellten Arzneimittels entschieden hat, wird dieses durch einen von der N Apotheke B.V. im Namen und auf Rechnung des Kunden beauftragten Kurierdienst von den Geschäftsräumen in E (Niederlande) zu der bestimmten Apotheke eines der Partnerapotheker überbracht. Dort kann es der Patient einen Tag nach Aufgabe der Bestellung gegen Zahlung des reduzierten Kaufpreises und unter Hinzurechnung des Transportlohns an den jeweiligen Partnerapotheker, der das Entgelt sodann an die N Apotheke B.V. weiterleitet, in Empfang nehmen.
Die Wettbewerbszentrale sah hierin einen Wettbewerbsverstoß der Partnerapotheken, durch Ankündigung und Gewährung des ausgelobten Preisvorteils. Die Bewerbung des Preisnachlasses auf verschreibungspflichtige Medikamente stelle sowohl einen Verstoß gegen das heilmittelwerberechtliche Zuwendungsverbot als auch gegen das arzneimittelrechtliche Preisbindungsgebot für verschreibungspflichtige Arzneimittel dar. Zudem sei die Bewerbung des vergünstigen Arzneimittels als wettbewerbsrechtlich unangemessene, unsachliche Beeinflussung der Verbraucher einzustufen.
Während das LG Köln dieser Argumentation noch folgte und die Partnerapotheker zur Unterlassung verurteilte, sah das OLG Köln einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch nicht als gegeben an.
Hintergrund des Falles:
Das Konstrukt geht auf eine deutsche Apothekerfamilie zurück, die neben der niederländischen Apotheke sieben Apotheken im Raum Burscheid drei sowie jeweils eine Offizin in Leichlingen, Wermelskirchen, Hückeswagen und Darbinghausen betreibt. In diesen Häusern wollen die Inhaber - unter Verweis auf die Kooperation mit ihrer eigenen niederländischen Apotheke - weiter Rabatte auf verschreibungspflichtige Medikamente geben.
Die Entscheidung:
In Deutschland ist die Rabattgewährung auf verschreibungspflichtige Medikamente verboten - ebenso wie das Werben dafür. Der Abgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel ist vielmehr bundeseinheitlich geregelt. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll hierdurch der ruinöse Preiswettbewerb unter Apotheken verhindert und zugleich eine flächendeckende und qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit diesen Arzneimitteln sichergestellt werden.
Diese Grundsätze greifen im hiesigen Fall jedoch nach Ansicht des OLG Köln nicht, denn die niederländische Apotheke ist an die Bestimmungen des AMG sowie der AMPreisV nicht gebunden. Eine derartige Bindung scheide aus mehrfacher Sicht aus. Der deutsche Gesetzgeber habe die Apotheken des Europäischen Wirtschaftsraumes, die "für den Versandhandel nach ihrem nationalen Recht befugt sind“ (§ 73 Abs. 1 Nr. 1a AMG) schon nicht ausdrücklich an die AMPreisV gebunden. Eine derartige Bindung ließe sich aus der Bestimmung des § 73 Abs. 1 Nr. 1a AMG jedenfalls nicht herleiten, die lediglich fordere, dass die Bestimmungen, denen die Apotheke des Europäischen Wirtschaftsraumes (hier Niederlande) unterliegt, dem deutschen Apothekenrecht im Hinblick auf die Vorschriften zum Versandhandel entsprechen muss. Die Anforderungen, die der deutsche Gesetzgeber speziell an den Versandhandel mit Arzneimitteln stellt, sind in § 11a Apothekengesetz (ApoG) abschließend geregelt.
In der AMPreisV hingegen finden sich spezifische Regelungen für den Versandhandel nicht. Hieraus folgert das OLG im Sinne eines „Erst-Recht-Schlusses“, die Nicht-Anwendbarkeit der AMPreisV auf EU-ausländische Apotheken, die durch den deutschen Gesetzgeber an die üblichen Apothekenbetriebsvorschriften gerade nicht gebunden sein sollten.
Dies gelte um so mehr, als die AMPreisV als hoheitliches Eingriffsrecht nach dem völkerrechtlichen Territorialprinzip für außerhalb Deutschlands vertriebene Medikamente nicht gilt, so dass neben den ausländischen Herstellern bei Verkäufen im Ausland auch die Importeure von Arzneimitteln ihre Abgabepreise frei bestimmen dürfen und infolgedessen ohnehin ein Preiswettbewerb – auch auf der Einzelhandelsstufe – zwischen inländischen Medikamenten und Importarzneimitteln stattfände (BGHZ 129, 53 [54] = GRUR 1995, 618 = WRP 1995, 713 – Importarzneimittel). Vor diesem Hintergrund erscheine die Befürwortung einer Preisbindung ausländischer Versandapotheken als nicht durchgreifend.
Ein Verstoß gegen die AMPreisV liege daher nicht vor. Ein solcher könne auch den werbenden Apothekern nicht zum Vorwurf gemacht werden, denn diese sei als „Erklärungs- und Empfangsbotin“ gar nicht Handelnde und auch an dem Vertragsschluss zu einem Preis unterhalb der AMPreisV nicht beteiligt.
Ein Unterlassungsanspruch ergebe sich schließlich auch nicht aus dem Gedanken der missbräuchlichen Umgehung der AMPreisV. Denn, sowohl nach höchstrichterlicher deutscher Rechtsprechung als auch nach Rechtsprechung des EuGH sei es grundsätzlich nicht rechtsmissbräuchlich sich legitimer rechtlicher Möglichkeiten, die ein anderer EU-Staat bietet, zu bedienen (sog. forum shopping).
Bewertung:
Die lesenswerte und ausführlich begründete Entscheidung des OLG Köln ist zutreffend. Das Gericht stellt sich damit zwar in direkten Widerspruch zu Entscheidungen des OLG Frankfurt a.M. (WRP 2008, 969) und des OLG Hamburg (Urt. v. 19.02.2009 – 3 U 225/06); seine Begründung hingegen überzeugt. Leider haben sich die Kölner Richter nicht dazu geäußert, ob neben den – zutreffend herausgearbeiteten – deutschen Bestimmungen, nicht auch europarechtliche Erwägungen gegen eine Inpflichtnahme EU-ausländischer Apotheken nach der AMPreisV sprechen. Dies erscheint indes naheliegend, denn die Bindung ausländischer Apotheken an die AMPreisV muss als Eingriff in den freien Warenverkehr aus Art. 28 EG eingestuft werden. Vor dem Hintergrund der bestehenden Inkohärenz in Bezug auf Importarzneimittel rechtfertigt sich die Forderung einheitlicher Verkaufspreise für verschreibungspflichtige Arzneimittel auch nicht aus dem Aspekt des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gemäß Art. 30 EG.
Es bleibt abzuwarten, ob sich das OLG Köln wird durchsetzen können. Die Revision wurde zugelassen, so dass es nunmehr am BGH liegt, abschließend zu entscheiden. Die Kölner Richter haben jedenfalls aufgezeigt, dass mit der Entscheidung des EuGH in Sachen Fremdbesitzverbot keinesfalls Ruhe im deutschen Apothekenmarkt eintreten wird. Die vorliegende Konstruktion gibt einen ersten Eindruck davon, wie „erfindungsreich“ der Markt sein kann.
Dr. Robert Kazemi