OLG Hamm: Kein Unterlassungsanspruch gegen Webshop-Nachahmungen durch Konkurrenten
Jeder, der ein innovatives Geschäftsmodell entwickelt, wird schnell mit denjenigen konfrontiert, die auf den fahrenden Zug aufspringen und am Erfolg teilhaben wollen. Was ist da einfacher, als sich an das Produkt des Konkurrenten anzulehnen, es so weit wie möglich zu kopieren. Never change a running system! Aus Sicht des Modell-Entwicklers ist dies ärgerlich, hat er doch viel Zeit und meistens auch Geld in die Entwicklung gesteckt. Was liegt da näher als sich gegen die neue Konkurrenz mit rechtlichen Argumenten zur Wehr zu setzen.
Ansatzpunkte bietet hier - wie so oft - das Wettbewerbsrecht, genauer der sog. ergänzende Leistungsschutz gem. § 4 Nr. 9 UWG.
Mit genau dieser Vorschrift hat sich nunmehr das Oberlandesgericht (OLG) Hamm (Urteil vom 20.05.2010, I-4 U 33/10) zu beschäftigen gehabt.
Der Fall:
Die Antragstellerin brachte im Jahre 2007 ein Softwareprodukt mit dem Namen "I Webshop" auf den deutschen Markt, welches als Bestellsoftware für ihre Kunden dient. Die Software verfügt über eine bestimmte Eingabemaske. Die Antragsgegnerin beabsichtigt, das Konkurrenzprodukt "T" auf den Markt zu bringen, das sie bereits auf Anwendertagen und in einem Workshop präsentiert hat.
Die Antragstellerin meint, die prägenden Kernelemente ihrer Darstellung seien übernommen, ihr Produkt sei von der Antragsgegnerin nachgeahmt worden. Die Antragsgegnerin habe dabei nicht den gebotenen Abstand zu ihrem bekannten und im Markt eingeführten Produkt gewahrt.
Die Entscheidung:
Wie bereits das Ausgangsgericht sieht auch das OLG eine Verletzung der Leistungsschutzrechte der Antragstellerin im Sinne des § 4 Nr. 9 UWG nicht als gegeben an.
Nachahmungen grundsätzlich zulässig
Ein ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz nach § 4 Nr. 9 UWG, der den Verfügungserlass rechtfertigen könnte, besteht nach Ansicht des Senates nicht. Auszugehen ist dabei zunächst davon, dass im Rahmen des freien Wettbewerbs Nachahmungen grundsätzlich zulässig sind. Nach der gesetzlichen Wertung soll die wirtschaftliche Betätigung des Einzelnen außerhalb der geschützten Sonderbereiche grundsätzlich frei sein. Insofern ist Nachahmung außerhalb sondergesetzlich geschützter Produkte grundsätzlich erlaubt, sofern nicht zusätzliche unlauterkeitsbegründende Umstände vorliegen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) kann der Vertrieb eines nachgeahmten Erzeugnisses demnach wettbewerbswidrig sein, wenn das Erzeugnis von wettbewerblicher Eigenart ist und besondere Umstände hinzutreten, die die Nachahmung unlauter erscheinen lassen. Dabei besteht zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerbsrechtlichen Umständen eine Wechselwirkung. Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme sind, desto geringere Anforderungen sind an die besonderen Umstände zu stellen, die die Wettbewerbswidrigkeit der Nachahmung begründen (vgl. BGH, Urteil vom 15. 6. 2000, I ZR 90/98 - Messerkennzeichnung; BGH, Urteil vom 15. 7. 2004, I ZR 142/01- Metallbett). Danach können Ansprüche aus ergänzendem wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz gegen den Vertrieb eines nachgeahmten Erzeugnisses beispielsweise bestehen, wenn die Gefahr einer Herkunftstäuschung gegeben ist und der Nachahmer zumutbare und geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der Herkunftstäuschung unterlässt oder wenn die Wertschätzung der nachgeahmten Ware oder Dienstleistung unangemessen ausnutzt oder beeinträchtigt wird.
Erfordernis der „wettbewerblichen Eigenart"
Die wettbewerbliche Eigenart setzt voraus, dass die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale eines Erzeugnisses geeignet sind, die angesprochenen Verkehrskreise auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheiten des Erzeugnisses hinzuweisen. Diese müssten insofern geeignet sein, das Produkt individualisierend herauszustellen.
Hiervon geht das OLG Hamm noch aus und bejaht die wettbewerbliche Eigenart deshalb, weil die Produktmatrix ein individuelles und neuartiges Erscheinungsbild aufweist, das geeignet ist, auf die Herkunft des Produkts von der Antragstellerin hinzuweisen.
Nachahmung
Eine Nachahmung setzt zunächst voraus, dass dem Hersteller im Zeitpunkt der Schaffung des beanstandeten Produkts das Vorbild bekannt war. Liegt diese Kenntnis nicht vor, sondern handelt es sich bei der angegriffenen Ausführung um eine selbstständige Zweitentwicklung, ist schon begrifflich eine Nachahmung ausgeschlossen. Kann nachgewiesen werden, dass dem Hersteller das Vorbild bekannt war, unterscheidet die Rechtsprechung grundsätzlich zwischen der unmittelbaren Leistungsübernahme (Imitation), der fast identischen Leistungsübernahme und der nachschaffenden Leistungsübernahme.
Wegen der doch starken Annäherung an die Gestaltung durch die Antragstellerin sah das OLG auch eine zumindest nachschaffende Leistungsübernahme, mithin eine Nachahmung als gegeben an.
Unlauterkeitsbegründende Umstände
Indes fehlt es vorliegend nach Ansicht des OLG an den weiteren unlauterkeitsbegründenden Umständen, die Unterlassungsansprüche nach § 4 Nr. 9 UWG begründen.
Bei der Beurteilung, ob solche vorliegen, ist - nach Ansicht des Senats - wiederum zu beachten, dass zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Nähe der Nachahmung und der Intensität der Unlauterkeitsmerkmale eine Wechselbeziehung besteht. Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je größer der Grad der Übernahme sind, desto geringere Anforderungen sind an die besonderen Umstände zu stellen, die die Wettbewerbswidrigkeit der Nachahmung begründen. Umgekehrt sind im Fall einer identischen Übernahme die Anforderungen an die wettbewerbliche Eigenart und die Unlauterkeitsmerkmale entsprechend geringer.
Eine vermeidbare Herkunftstäuschung i.S.v. § 4 Nr. 9 a UWG ist mit dem Landgericht zu verneinen. Auch soweit die Antragstellerin bei den angesprochenen Druckereibetrieben eine maßgebliche Bekanntheit mit ihren Produkten erreicht hat und es nach der Gesamtwirkung der sich gegenüberstehenden Produkte (auf die es maßgeblich ankommt; vgl. BGH GRUR 2002, 629, 632 - Blendsegel; 2007, 795 - Handtaschen) deutliche Übereinstimmungen der beiderseitigen Gestaltungen hinsichtlich Anzahl und Auswahl der Produkteigenschaften, ihrer Bezeichnung und grafischen Ausprägung der Bestellschritte gibt, bestehen auch unter Berücksichtigung der nur geringen Eigenart des Produkts der Antragstellerin doch derart maßgebliche Unterschiede, dass diese gerade bei den überwiegend kundigen Druckereien eine vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft der in Rede stehenden Software nicht bewirken.
Entsprechendes gelte auch unter dem Gesichtspunkt einer Rufausbeutung i.S.v. § 4 Nr. 9 b UWG. Der gute Ruf der Antragstellerin und ihres Produkts werde durch die streitgegenständliche Nachahmung nicht unangemessen auf die Antragsgegnerin übertragen, und zwar schon deshalb, weil die Unterschiede zwischen Original und Nachahmung deutlich ins Auge fallen. Ein sog. Imagetransfer hin zur Antragsgegnerin aufgrund der insoweit ähnlichen Produktmatrix kann nicht festgestellt werden.
Schließlich gäbe es auch keine Anhaltspunkte für eine unredliche Erlangung des Know-How i.S.v. § 4 Nr. 9 c UWG, weswegen ein Unterlassungsanspruch aus § 4 Nr. 9 UWG trotz Vorliegen einer wettbewerblichen Eigenart und einer Nachahmung nicht in Betracht komme.
Bewertung:
Die Entscheidung des OLG Hamm verdeutlicht die Komplexität des wettbewerbsrechtlichen ergänzenden Leistungsschutzes. Sowohl in Begründung als auch im Ergebnis überzeugen die vom Gericht gefundenen Wertungen.
Das Gericht stellt die Bedeutung des § 4 Nr. 9 UWG zu Recht in den Vordergrund, die darin liegt, die Wettbewerbsfreiheit als eine Funktionsbedingung der Marktwirtschaft zu erhalten. Eine allzu weitreichende Handhabung der wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüche wegen Nachahmungen würde den Innovationswettbewerb nachhaltig behindert, da sich Unternehmer nicht an den bereits auf dem Markt vorhandenen Produkten orientieren dürften. Daher sind im Rahmen des freien Wettbewerbs Nachahmungen grundsätzlich zulässig.
Im Übrigen sind auch die Sonderschutzrechte grundsätzlich vorrangig. Soweit insbesondere das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte Schutz gewähren, bleibt für entsprechende Unterlassungsansprüche aus Wettbewerbsrecht kein Raum, wenn eben nicht besondere unlauterkeitsbegründende Umstände hinzukommen.
Dr. Robert Kazemi