11
Jul 2011

OLG Hamburg: Auch ein Tätowierer mit Schaufenster muss seine Preise nicht öffentlich bekannt machen

Die Beklagten betreiben ein Tätowierstudio mit Schaufenster. Der Kläger stellte fest, dass sich in dem Schaufenster kein Preisaushang befand. Seiner Meinung nach stellt dies einen Verstoß gegen § 5 Abs.1 Preisangabenverordnung (PAngV) dar. Dies sieht das OLG Hamburg nicht und beurteilt die Tätowierarbeit als künstlerische Tätigkeit, die von den Preisangabevorgaben grundsätzlich befreit ist (OLG Hamburg, Urt. v. 04.05.2011, 5 U 207/10).

Die Entscheidung:

Der Kläger stützt den Unterlassungsantrag auf die §§ 4 Nr.11, 8 Abs.3 Nr.3 UWG i.V.m. 5 Abs.1 PAngV.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es sich bei dem Angebot eines Tätowierers um Leistungen im Sinne des § 5 PAngV handelt und dass im Schaufenster des Tätowierstudios in der H-strasse ... am 23. und 26.6.2009 kein Preisverzeichnis aufgehängt war (§ 5 Abs.1 S.1, 2 PAngV).

Der Senat hat allerdings bereits Zweifel, ob die Beklagten durch den Betrieb eines Tätowierstudios und das Vorhandensein eines Schaufensters diese Leistungen anbieten im Sinne des § 1 Abs.1 S.1 PAngV oder ob es sich nur um eine Werbung handelt, bei der noch keine Preise angegeben werden müssen.

Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass eine Tätowierung bei den Beklagten vollständig individuell nach den Wünschen und körperlichen Gegebenheiten des Kunden in mehreren Abschnitten abläuft: Auswahl des Motivs und dessen Größe, zeichnerische Vorarbeit mit Korrekturen, Auswahl des Orts der Tätowierung, Zeitdauer (eine oder mehrere Sitzungen), Auswahl der Farben je nach Hautbeschaffenheit usw. Ihre Leistung ist daher nicht vergleichbar z.B. mit derjenigen eines Friseurs, der in großem Umfang standardisierte Leistungen erbringt (Haarewaschen - schneiden - föhnen - färben usw.). Es ist insbesondere nicht vorgetragen, dass in dem Tätowierstudio der Beklagten bestimmte „Standard-Tattoos" angeboten würden. Dass es überhaupt Tätowierer gibt, die jedenfalls teilweise standardisierte Leistungen anbieten, ist ebenfalls nicht vorgetragen.

Für die Beklagten streitet daher die Ausnahmevorschrift des § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV.

Nach § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV ist § 5 PAngV nicht anzuwenden auf künstlerische, wissenschaftliche und pädagogische Leistungen; dies gilt nicht, wenn die Leistungen in Konzertsälen, Theatern, Filmtheatern, Schulen, Instituten und dergleichen erbracht werden.

Die Beklagten erbringen künstlerische Leistungen im Sinne von § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV. Die PAngV definiert nicht, was unter „künstlerischen Leistungen" zu verstehen ist. Außerhalb des Preisangabenrechts wird die Frage, ob Tätowierer künstlerische Leistungen erbringen, unterschiedlich zu beurteilen sein: Nach Meinung des BSG sind Tätowierer keine Künstler im Sinne der Künstlersozialversicherung, da der Schwerpunkt im Handwerklichen liege. Gemäß § 2 S.1 des KünstlersozialversicherungsG sind Künstler nur solche Personen, die Musik, darstellende oder bildende Kunst schaffen, ausüben oder lehren. Der Kunsthandwerker fällt nach Auffassung der BSG grundsätzlich nicht in die Künstlersozialversicherung (Rn.18).

Demgegenüber kann im Urheberrecht auch der Kunsthandwerker ein Künstler sein, wenn nämlich sein Werk den Anforderungen des § 2 Abs.1 Nr.4, Abs.2 UrhG genügt, also als persönliche geistige Schöpfung qualifiziert werden kann. Dabei dürfte das Tätowieren der angewandten Kunst zuzurechnen sein, da es jedenfalls im deutschen Kulturkreis der Verschönerung des körperlichen Erscheinungsbildes dient, also nicht zweckfrei wie die sog. bildende Kunst ist.

Indessen wird die Ausnahmebestimmung des § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV nach Auffassung des Senats unabhängig von dem Begriff der künstlerischen Tätigkeit oder der Kunst in anderen Rechtsgebieten auszulegen zu sein, nämlich allein in Hinblick auf den Sinn und Zweck der PAngV. Die in § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV aufgeführten Leistungen sind solche, die einerseits in besonderem Maße durch die Individualität des Leistungserbringers - Qualifikation, Renommee, Sympathie, Vertrauen - geprägt sind, andererseits durch den individuellen Zuschnitt der Leistung auf den einzelnen Leistungsempfänger. Eine Typisierung solchermaßen individuell geprägter Leistungen in Preisverzeichnissen erscheint kaum praktikabel und lebensfremd. Sie wäre auch ungeeignet, für den Verbraucher mehr Preistransparenz und Preisklarheit zu schaffen, weil die Preise wegen der Besonderheiten der jeweiligen Leistung und des Leistungserbringers nicht vergleichbar sind. Nach dem unstreitigen Vortrag der Beklagten wird jede Tätowierung als Einzelauftrag mit Vorentwürfen an unterschiedlichen Körperteilen der Kunden in unterschiedlicher Zeit ausgeführt (s.o.).

Die Bandbreite und künstlerische Vielfältigkeit von Tätowierungen ist ferner durch das Fachmagazin „Tattoo-Spirit" belegt. Angesichts dieses substantiierten Vortrags der Beklagten zur Individualität ihrer Leistungen und zu den Leistungen von Tätowierern generell, dem der Kläger nicht entgegen getreten ist, sowie unter Berücksichtigung des unstreitigen tatsächlichen Ablaufs jeder Tätowierung geht der Senat vorliegend von einer als künstlerisch einzustufenden Tätigkeit der Beklagten im Sinne des § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV aus.

Dr. Robert Kazemi

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