02
Mai 2010

OLG Frankfurt am Main: Neues zur Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung des § 12 UWG

Im Rahmen eines aktuellen Verfahrens hat sich das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main mit der Frage beschäftigt, wann die im § 12 Abs. 2 UWG normierte Vermutung für die Dringlichkeit eines einstweiligen Verfügungsverfahrens in Wettbewerbssachen als widerlegt gelten kann (OLG Frankfurt, Urteil vom 25.03.2010, Az. 6 U 219/09).

Der Fall:

In dem durch das OLG zu entscheidenden Fall hatte die Antragsgegnerin unter Verstoß gegen Art. 10 Abs. 2 der Verordnung EG Nr. 110/2008 für ein „Whisky & Cola"-Getränk geworben. Nachdem der Antragsgegnerin dieses Verhalten im Rahmen einer Beschlussverfügung als wettbewerbswidrig untersagt worden war, die auch durch den Antragssteller vollzogen, das heißt zugestellt wurde, hatte der Antragssteller es hingenommen, dass die Antragsgegnerin, die anderenfalls eine einschneidende Produktänderung hätte vornehmen müssen, die beanstandeten Handlungen unverändert fortgesetzt und dementsprechend dem vom LG ausgesprochenen Verbot zuwidergehandelt hatte.

Genau hierin sah das OLG Frankfurt ein dringlichkeitsschädliches Verhalten des Antragsstellers, welches schlussendlich dazu führen musste, dass die ursprünglich erlassene Beschlussverfügung nachträglich wieder aufgehoben wurde. Auch wenn das Verhalten des Antragsstellers im Hinblick auf die Größenordnung des hier nach § 945 ZPO bestehenden Kostenrisikos verständlich war, hat der Unterlassungsgläubiger (Antragssteller) nach Auffassung des OLG Frankfurt durch sein Verhalten zu verstehen gegeben, dass aus seiner Sicht kein Eilbedürfnis bestehe, welches eine gerichtliche Entscheidung über seinen Anspruch im Wege des vorläufigen Rechtschutzes erforderlich machen würde.

Bewertung:

Die Frage der Dringlichkeit ist vor allem in Wettbewerbssachen, die häufig im Wege sogenannter einstweiliger Verfügungsverfahren ausgestritten werden, von erheblicher Bedeutung. Durch das einstweilige Verfügungsverfahren, von dem in Wettbewerbssachen unter erleichterten Voraussetzungen Gebrauch gemacht werden kann, erhält der Unterlassungsgläubiger die Möglichkeit, selbstwidriges Verhalten umgehend zu unterbinden. Er soll nicht gezwungen sein, eine Fortsetzung oder Wiederholung der fraglichen Wettbewerbsverstöße bis zur Erlangung eines Vollstreckungstitels im Klageverfahren hinzunehmen. Um dem Gläubiger diesen effektiven Rechtschutz zu ermöglichen, wird im Rahmen des Wettbewerbsrechtes in Kauf genommen, dass die Erkenntnismöglichkeiten und auch die Bewährung eines rechtlichen Gehörs im Eilverfahren eingeschränkt sind, so dass dieses Verfahren im Verhältnis zum Klageverfahren eine geringere Richtigkeitsgewähr bietet. Das einstweilige Verfügungsverfahren ist ein summarisches Verfahren, das unter Inkaufnahme einer höheren Fehleranfälligkeit der Gewährung effektiven, rasch wirksamen Schutzes dient. Sein legitimer Zweck wird verfehlt, wenn es lediglich dazu dienen soll, auch für schnelle und einfache Weise eine gerichtliche Fallbeurteilung zu erlangen. Denn auch im Rahmen des Wettbewerbsrechtes hat der Gläubiger seinen Anspruch grundsätzlich im Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Der Erlass einstweiliger Verfügungen ist nach der ZPO nur dann zulässig, wenn entweder zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechtes einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, § 935 ZPO oder wenn die Verfügung der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis dient, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile unnötig erscheint. Die gesetzliche Regelung macht deutlich, dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung dementsprechend nur bei einer besonderen Gefährdung des materiellen Anspruches in Betracht kommt. Dem Gläubiger müssen ohne einstweiliges gerichtliches Eingreifen erhebliche Nachteile drohen. Ein Verfügungsgrund liegt dementsprechend nur dann vor, wenn es einer gerichtlichen Eilentscheidung bedarf und die Durchführung eines langwierigen Hauptsacheverfahrens zu einer Vereitelung oder wesentlichen Beeinträchtigung des vom Antragssteller behaupteten Rechtes führen würde.

Nach § 12 Abs. 2 UWG können zur Sicherung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche auf Unterlassung einstweilige Verfügungen auch ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung der in der ZPO bezeichneten Voraussetzung erlassen werden. Die Dringlichkeit als Verfügungsgrund darf dabei zwar nicht gänzlich fehlen; sie wird lediglich zu Gunsten des Unterlassungsgläubigers vermutet. Diese Vermutung kann durch entsprechendes Vorbringen des Verfügungsgegners widerlegt werden.

Hierzu sind Tatsachen vorzubringen, aus denen sich ergibt, dass tatsächlich die besondere Verfahrensvoraussetzung für die Durchsetzung von Ansprüchen im Wege der einstweiligen Verfügung, mithin die Dringlichkeit nicht vorliegt. Derartige Tatsachen können sich sowohl aus dem Vorbringen des Antragsgegners als auch des Antragsstellers und darüber hinaus auch aus objektiven Umständen, zu denen auch das eigene Verhalten des Antragsstellers vor und nach Einleitung des Verfahrens gehört, ergeben.

Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG ist dementsprechend nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur bspw. dann widerlegt, wenn der Antragssteller mit der Rechtsverfolgung im Wege der einstweiligen Verfügung zu lange wartet oder das Verfahren nicht zügig betreibt. Je nach angerufenem Gericht kann dementsprechend bereits ein Zuwarten von vier Wochen (andere Gerichte bis zu acht Wochen) nach Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen die Dringlichkeitsvermutung widerlegen und eine Durchsetzung im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens verhindern. Ebenso zeigt der Anspruchssteller im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens dann, dass die Durchsetzung seiner Rechte nicht dringlich ist, wenn er bspw. vor Erlass der einstweiligen Verfügung Verlegung des anberaumten Verhandlungstermins auf einen späteren Zeitpunkt beantragt oder sich mit einer (nicht völlig unbedeutenden) Vertagung einverstanden erklärt (OLG Hamm, GRUR 1992, 864).

Auch eine Verzögerung der Zustellung der erlassenen einstweiligen Verfügung kann - nach Auffassung des OLG Düsseldorf - zu einer Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung führen.

Nach Auffassung des OLG Frankfurt liegt ein dringlichkeitsschädliches Verhalten jedoch auch dann vor, wenn der Antragssteller nach Erlass einer einstweiligen Beschlussverfügung und deren Vollziehung (Zustellung beim Antragsgegner oder dessen Anwalt) in Kenntnis der Fortsetzung des untersagten Verhaltens keinen Vollstreckungsantrag stellt, d. h. keine Ordnungsmittel bei Gericht beantragt, um sich das aus § 945 ZPO ergebende Schadenssatzrisiko zu vermeiden. Erweist sich nämlich die Anordnung einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an für ungerechtfertigt oder wird die angeordnete Maßregel später aufgehoben, so ist die Partei, welche die Anordnung erwirkt hat, verpflichtet, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der angeordneten Maßregel entsteht. Dies führt oftmals dazu, dass Gläubiger, die eine einstweilige Verfügung erlangt haben, davon absehen, diese auch zu vollziehen bzw. auf deren Grundlage Ordnungsgelder zu beantragen.

Ein derartiges Verhalten führt - folgt man der Auffassung des OLG Frankfurt - jedoch dazu, dass die zunächst nach § 12 Abs. 2 UWG angeordnete Dringlichkeitsvermutung im Nachhinein wieder wegfallen kann. Unterlassungsgläubigern, die eine einstweilige Verfügung - entweder im Beschluss- oder im Urteilsverfahren erwirkt haben - ist dementsprechend dringend anzuraten, nach Zustellung der einstweiligen Verfügung zu überprüfen, ob der Unterlassungsschuldner sich auch an den in der Verfügung normierten Verbotstenor hält. Tut er dies nicht und will der Unterlassungsgläubiger nicht die spätere Aufhebung der einstweiligen Verfügung wegen mangelnder Dringlichkeit riskieren, so sind fortwährende Verstöße nach Zustellung der einstweiligen Verfügung in jedem Fall durch entsprechende Ordnungsgeldanträge beim erlassenden Gericht weiter zu verfolgen.

Dr. Robert Kazemi

Zurück