04
Dez 2009

OLG Frankfurt a.M.: Kein Herunterladen und kein Ausdrucken an elektronischen Leseterminals öffentlicher Bibliotheken

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a.M. mit Urteil vom 24.11.2009 (11 U 40/09) die Rechte öffentlicher Bibliotheken im Rahmen der digitalen Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke auf Basis des § 52b UrhG zu Gunsten von Autoren und Verlegern erheblich eingeschränkt. Nach Ansicht des OLG ist das den öffentlichen Bibliotheken in § 52b UrhG eingeräumte Recht der digitalen Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke auf die zur Verfügungstellung an elektronischen Leseterminals beschränkt. Alle über das Lesen am Bildschirm hinausgehenden Möglichkeiten, insbesondere das Ausdrucken und das Herunterladen, bedürften der ausdrücklichen Rechteeinräumung durch den Urheber oder den Verleger.

Der Fall:

Die Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt hält in ihrem Bestand sieben Exemplare eines Werkes des Verlages Eugen Ulmer KG vor. Im Januar 2009 wurde dieses Werk zum Zweck der Bereitstellung an elektronischen Leseplätzen digitalisiert. Hierbei wurden die einzelnen Kapitel als PDF-Dateien gespeichert und Anfang Februar 2009 in die Datenbank eingepflegt, welche den elektronischen Leseplätzen zugrunde liegt. Simultan können jeweils nur so viele identische PDF-Dateien aufgerufen werden, wie Printexemplare im Bibliotheksbestand vorhanden sind. Die fraglichen Dateien können in technischer Hinsicht am elektronischen Leseplatz eingesehen und ausgedruckt werden. Zudem ist es dem Benutzer möglich, Dateien auf einen USB-Stick zu sichern und mit nach Hause zu nehmen.

Der Ulmer Verlag sah hierin eine Verletzung seiner Nutzungsrechte; bereits die eigenmächtige Digitalisierung des streitgegenständlichen Werkes greife unzulässig in ihr Vervielfältigungsrecht aus § 16 UrhG ein. Gleiches gelte für die angebotene Möglichkeit des Ausdrucks. Zudem werde das Recht auf öffentliche Zugänglichmachung i.S. § 19a UrhG und das Verbreitungsrecht gem. § 17 UrhG verletzt. Die Möglichkeit eines Ausdrucks lasse sich nicht aus § 53 UrhG rechtfertigen, da § 52b UrhG gerade nicht auf diese Norm verweise. Die Kopie sei deswegen im vorliegenden Fall nach der gesetzlichen Regelung lediglich von der dem Digitalsatz zugrundeliegenden Papierform her zulässig. Die Mitnahme gefertigter Kopien oder Sicherungen auf ein digitales Medium stelle zudem keine Nutzung mehr „in den Räumen" der Bibliothek dar, die dem Leserecht des § 52b UrhG zugrunde lägen.

Die Entscheidung:

Das OLG bestätigt nunmehr weitestgehend die durch den Ulmer Verlag vertretene Rechtsansicht. Während das Landgericht (LG) Frankfurt einen Unterlassungsanspruch allein beschränkt auf die digitale Kopiermöglichkeit zugesprochen hatte, erweitert das OLG diesen Anspruch nunmehr auch auf die Möglichkeit des Ausdruckens vom Leseterminal aus. Beide Gerichte sehen die Bibliothek jedoch als berechtigt an, die Digitalisierung der Werke ohne Zustimmung/Genehmigung des Verlages zum Zwecke der Einrichtung digitaler Leseplätze vorzunehmen.

Dabei stellen sich die Gerichte mit ausführlicher Begründung der Argumentation entgegen, die Vorschrift des § 52b UrhG fände bereits dann keine Anwendung mehr, wenn von Seiten des Urhebers oder der Verlages ein „angemessenes" Vertragsangebot zur digitalen Lizensierung vorläge. Nach Ansicht der Frankfurter Richter, spricht auch die sog. Drei-Stufen-Theorie nicht für ein derartig enges Verständnis der in § 52b UrhG aufgenommenen Einschränkung „soweit dem keine vertraglichen Regelungen entgegenstehen".

Nach dem sowohl dem Wortlaut, dem systematischen Zusammenhang als auch den Gesetzgebungsmaterialien entnehmbaren Willen des Gesetzgebers solle § 52b UrhG vielmehr lediglich durch bestehende vertragliche Regelungen ausgeschlossen werden. Bereits der Begriff der „Regelung" sei seinem originären Wortverständnis nach nur schwer mit einem Vertragsangebot vereinbar. Denn ein Angebot bleibt einseitig und kann deswegen eine „Regelung" - also eine beidseitig bindende Vereinbarung - nicht begründen.

Dieses originäre Wortverständnis entspräche auch dem systematischen Zusammenhang der Regelung. Insbesondere differenziere das Gesetz in § 53a Abs. 1 Satz 3 UrhG, in dem es bereits auf das „Ermöglichen" einer vertraglichen Regelung abstellt, klar in seinem Wortlaut, wenn bereits ein Vertragsangebot genügen soll.

Auch die beanstandete Digitalisierung der Werke ist von § 52b UrhG gedeckt. Denn nach überwiegender Auffassung in der Literatur begründet § 52b UrhG eine Annex-Berechtigung zur Vervielfältigung des Werkes. Um die Zugänglichmachung zu ermöglichen, müssen die privilegierten Einrichtungen in aller Regel zunächst jedoch ein dazu erforderliches digitales Vervielfältigungsstück herstellen. Ansonsten liefe die fragliche Bestimmung weitgehend leer.

Gestützt auf § 97 I UrhG könne der Verlag - hierin sind sich LG und OLG einig - jedoch verlangen, es Nutzern nicht zu ermöglichen, digitale Versionen der Werke an elektronischen Arbeitsplätzen auf USB-Sticks oder andere Träger für digitalisierte Werke zu vervielfältigen bzw. diese Vervielfältigungen aus den Räumen der Bibliothek mitzunehmen. Denn § 52b UrhG beschränke das Angebot elektronischer Leseplätze ausdrücklich auf eine Nutzung in den Räumen der Bibliothek. Ließe man die Speicherung und Mitnahme der Digitalisate selbst zu, würde eine Nutzung des geschaffenen Angebots auch außerhalb der Bibliothek möglich.

Das OLG erweitert den Unterlassungsanspruch nunmehr auch auf die Möglichkeit des Ausdrucks von im Rahmen des § 52b UrhG zulässigerweise digitalisierten Dokumenten. Insoweit sei entscheidend, dass § 52b UrhG nur den elektronischen Lesezugriff gestatte und dem Nutzer über den Lesezugriff hinaus nicht auch Vervielfältigungen in gleicher Weise wie bei einer analogen Nutzung ermöglicht werden sollen. Dem Bedürfnis des Nutzers, Ausdrucke für eine sinnvolle Arbeit mit längeren Texten zu nutzen, werde in ausreichenden Maß durch die weiterhin bestehende Möglichkeit gewahrt, Kopien aus den in der Bibliothek vorhandenen Printexemplare zu fertigen.

Bewertung:

Die Entscheidung des OLG Frankfurt überzeugt nicht in allen Punkten, sie setzt sich insbesondere mit Blick auf die Möglichkeit des Ausdrucks von Dokumenten vom elektronischen Leseplatz aus zu wenig und zu oberflächlich mit der guten Argumentation des LG Frankfurts in diesem Punkt auseinander.

Nach hiesiger Auffassung zutreffend, hatte das LG noch darauf abgestellt, dass § 52b UrhG nach dem Willen des Gesetzgebers eine Nutzung ermöglichen soll, die der analogen Nutzung vergleichbar ist. Da das Angebot hier im Wesentlichen auf wissenschaftliche Arbeit mit Texten gerichtet ist, umfasst dies auch die Möglichkeit eines Ausdrucks. Eine sinnvolle Arbeit mit längeren Texten setzt regelmäßig die Möglichkeit voraus, in etwaigen Kopien zentrale Passagen des Textes zu markieren und diese in Auszügen auch aus der Bibliothek zum weitergehenden Studium an anderen Ort mitzunehmen. Ließe das Gesetz eine derartige Möglichkeit nicht zu, wäre das geschaffene Angebot einem analogen Angebot nicht vergleichbar, sondern beschränkte sich wohl für die überwiegende Anzahl der wissenschaftlichen Nutzer im Wesentlichen auf die Möglichkeit einer Überprüfung von Zitaten. Dementsprechend ergebe sich die grundsätzliche Berechtigung zum Ausdruck der geschaffenen elektronischen Inhalte als Annexkompetenz aus § 52b UrhG selbst.

Die Ansicht des LG scheint überzeugender, sie trägt den tatsächlichen Gegebenheiten, insbesondere in einer Universitätsbibliothek angemessen Rechnung, ohne den Urheber unangemessen zu benachteiligen. Die Möglichkeit der Einrichtung elektronischer Leseplätze in Bibliotheken trägt auch der Tatsache Rechnung, dass - vor allem begehrte - Bücher in Papierform oftmals aus Kostengründen nicht in ausreichender Anzahl vorgehalten werden. Die Digitalisierung an elektronischen Leseplätzen ermöglicht es, den knappen Buchbestand zu verdoppeln und die Werke dementsprechend Mehr Nutzern zur Verfügung zu stellen. Ein Buch nimmt man mit an den Platz und bringt es - dies zeigt auch die Erfahrung des Autors - aus Zeit- oder Bequemlichkeitsgründen nicht schon dann zurück, wenn es nicht mehr benötigt wird oder die entscheidenden Stellen kopiert wurden. In der Regel verschiebt sich die Bücherrückgabe dann aber auf den Zeitpunkt des endgültigen Verlassens der Bibliothek, so dass die Bücher nicht effektiv von allen genutzt werden können. Sicherlich, einige Universitätsbibliotheken waren in der Vergangenheit dazu übergegangen einzelne Exemplare besonders begehrter Bücher neben den Kopierern fest zu ketten, doch wer entscheidet schon, wann ein Buch gerade besonders begehrt ist. Der Jurist kennt diese leidliche Debatte aus Hausarbeitszeiten, auch andere Fachrichtungen werden diese Erfahrungen gesammelt haben.

Ein elektronischer Leseplatz läd hingegen nicht zum Verweilen ein; der Nutzer wird sich hier vielmehr auf die schnelle Suche beschränken, wenn ihn die Möglichkeit geboten wird, die Stellen die er benötigt einfach auszudrucken. Der elektronische Leseplatz sorgt damit für eine effektive Auslastung des Bibliotheksbestandes zum Nutzen aller Studenten. Wo hierin eine unangemessene Benachteiligung des Urhebers gesehen werden soll, erschließt sich nicht. Eine solche wäre zumindest unter Berücksichtigung der dem § 52b UrhG immanenten Unterstützung wissenschaftlicher Forschung hinzunehmen.

Dr. Robert Kazemi

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