OGH: „Kunden werben Kunden“ – in Österreich, nicht für Lebensversicherungen
In einem kürzlich durch den österreichischen Obersten Gerichtshof (OGH) zu entscheidenden Fall (OGH, Urteil vom 09.06.2009, 4Ob26/09s) hatte sich das Gericht mit einer - wenn auch nicht in dieser krassen Form, auch in Deutschland bekannten - Verkaufsförderungsmaßnahme eines Versicherungsvermittlers zu beschäftigen.
Zur Förderung des Verkaufs einer fondsgebundenen Lebensversicherung einer bestimmten Versicherungsgesellschaft lobte der später in Anspruch genommene Versicherungsvermittler ein besonderes Bonusprogramm aus. Jeder Kunde, der zwei Neukunden für diese Lebensversicherung namhaft machte, die ebenfalls einen Lebensversicherungsvertrag über den Versicherungsvermittler abschlossen, sollte von eine Vergütung in der Höhe einer Monatsprämie (350 EUR) erhalte. Erst ab zwei direkten Kundenwerbungen war man im Bonussystem teilnahmeberechtigt. Der Erstkunde durfte aber auch nicht mehr als zwei weitere Kunden werben, weil ihm nur zwei Kunden direkt zugeordnet werden konnten. Die anderen, neu geworbenen Kunden konnten ihrerseits wieder jeweils zwei weitere Kunden werben, um am Bonussystem teilnahmeberechtigt zu sein. Die Teilnahme am Bonussystem setzte zudem voraus, dass die eigene Lebensversicherung aufrecht erhalten blieb. Als Anreiz wurden den Kunden bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen noch zusätzliche Sachprämien ausbezahlt.
Das vorstehend verkürzt wiedergegebene, im Einzelnen noch viel komplexere Bonussystem, stuft der OGH nun als unlautere Geschäftspraktik ein.
Dabei stützt sich der OGH auf das - auch im deutschen UWG verankerte - Verbot der unangemessenen Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit der Verbraucher oder sonstiger Marktteilnehmer (in der Bundesrepublik, § 4 Nr. 1 UWG). Der Einsatz von Laien zum Vertrieb der Versicherungsprodukte falle hierunter, weil der angesprochene „Laienwerber" - so zeige die Erfahrung - überwiegend Verwandte, Freunde und Bekannte ansprechen werde, die den Werber nicht so leicht abweisen können wie einen ihnen unbekannten Vertreter. Zudem gefährde die in Aussicht gestellte Werbeprämie die sachliche Auseinandersetzung mit dem konkreten Anbot und rechtfertige zugleich die Befürchtung, der die Minderung seiner eigenen Lebensversicherungsprämie anstrebende Werber werde besonders rücksichtslos vorgehen. Darüber hinaus handele es sich bei fondsgebundenen Lebensversicherungen um komplizierte und in ihrer Risikoeinschätzung sehr anspruchsvolle Produkte, deren Vertrieb durch ungeschulte, möglicherweise selbst wenig sachkundige Personen für die Angesprochenen besonders gefährlich sein könne. Auch der Umstand, dass nach dem hier beanstandeten Bonussystem der angeworbene Kunde selbst nur zwei weitere Kunden anwerben sollte, ändere hieran nichts.
Bewertung:
Die Entscheidung des OGH ist auch für den deutschen Rechtskreis interessant. Die durch das Gericht, auch im Rahmen seiner Entscheidung in der Rechtssache 4 Ob 380/77, vorgebrachten Argumente sind nicht einfach wegzuwischen und könnten auch in einer deutschen Auseinandersetzung durchaus Bedeutung erlangen. Die hier ausgelobte Prämie von - im günstigsten Fall - immerhin 700,00 € scheint durchaus geeignet, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher zu beeinträchtigen. Fraglich ist auch, ob die Entscheidung des OGH nicht auch deshalb richtig ist, weil auch die zwingend (!) umzusetzende UGP-Richtlinie ein derartig rigoroses Vorgehen verlangt. Hier heißt es:
Einführung, Betrieb oder Förderung eines Schneeballsystems zur Verkaufsförderung, bei dem der Verbraucher die Möglichkeit vor Augen hat, eine Vergütung zu erzielen, die hauptsächlich durch die Einführung neuer Verbraucher in ein solches System und weniger durch den Verkauf oder Verbrauch von Produkten zu erzielen ist, sind in jedem Fall irreführend und damit zu untersagen.
Ob hier aber tatsächlich von einem Schneeballsystem im Sinne der Richtlinie gesprochen werden kann, erscheint fraglich, muss aber (wohl) endgültig durch den EuGH eine Klärung erfahren. Richtig scheint in jedem Fall die Einschränkung des OGH in seiner Rechtssache 4 Ob 380/77:
„In solchen Branchen, in denen die Verwendung von Laienwerbern seit jeher üblich ist, wie zB im Buchhandel und Zeitschriftenhandel oder im Bausparkassenwesen, kann der Einsatz solcher Werber zwar gleichfalls im Einzelfall wettbewerbswidrig sein, dennoch erscheint aber regelmäßig eine mildere Beurteilung geboten, weil es hier meist um die Übernahme von Dauerverpflichtungen geht, eine stärkere Werbetätigkeit des Kundenwerbers notwendig ist und die Werbeprämie im Verhältnis zu Leisten des Geworbenen meist nur gering sind."
Schlussendlich bleibt abzuwarten, ob deutsche Verbraucherschutzverbände - wie ihre österreichischen Kollegen - Laienwerbungsprogramme in Zukunft auch hierzulande kritisch unter die Lupe nehmen werden. Vor Etablierung eines derartigen Systems sollte - wegen der Ungewissheit - aber in jedem Fall anwaltlicher Rat eingeholt werden.
Dr. Robert Kazemi