16
Nov 2009

LSG Baden-Württemberg: Kritische Äußerungen einer gesetzlichen Krankenversicherung in Bezug auf die hausarztzentrierte Versorgung können nicht mit Mitteln des Wettbewerbsrechts einstweilen unterbunden werden

Aktuell mag man glauben, die gesetzlichen Krankenkassen stürzten sich allesamt unkritisch auf die, ihnen im SGB V ermöglichten Direktvertragsmodelle, um zu ihren Gunsten Preisvorteile auf dem Rücken der Ärzteschaft zu realisieren. Die kritischen Äußerungen gegen derartige Bestrebungen aus der Ärzte- und Zahnärzteschaft sind massiv. Wie ein aktueller Beschluss des LSG Baden-Württemberg (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 2.11.2009 - L 11 KR 3727-09 ER/B) verdeutlicht, stehen jedoch auch einige gesetzliche Krankenkassen den Direktverträgen kritisch gegenüber.

Unter der Überschrift „Schlucken Sie nicht jede Pille! - Gut versorgt beim Hausarzt? - eine Versicherten-Information Ihrer Krankenkassen" führte die BKK-Verbund Plus unter anderem aus:

„In Hausarztmodellen sind Sie in der Wahl Ihres Arztes eingeschränkt!
Sie binden sich damit vertraglich für mindestens 1 Jahr an einen Hausarzt.
Als Patient ist es Ihr gutes Recht, Ihren Arzt selbst und frei zu wählen!
Wir schreiben Ihnen die Wahl Ihres Arztes nicht vor.
Der richtige Arzt für Sie nimmt sich ausreichend Zeit für das Gespräch mit Ihnen,
informiert Sie über alle Schritte und lässt Sie nicht warten.

Kein Hausarzt ohne Facharzt!
Neben der qualifizierten hausärztlichen Behandlung halten wir für Sie eine umfassende und optimale Therapie auch mit Fachärzten und Klinischer Therapie für notwendig. Mit dieser „Hand in Hand-Versorgung" haben Sie die besten Möglichkeiten zur Genesung.

Therapiefreiheit für Ihren Hausarzt!
In Hausarztmodellen wird auf die Therapiefreiheit von Ärzten aktiv Einfluss genommen. Mit dem dadurch eingesparten Geld, soll ein Hausarztmodell vorwiegend finanziert werden."

Eine konkurrierende Krankenkasse sah hierin einen unzulässigen Eingriff in ihren Geschäftsbetrieb und nahm die BKK-Verbund Plus daraufhin im Rahmen eines Einstweiligen Anordnungsverfahrens vor dem Sozialgericht auf Unterlassung in Anspruch. Sie trug vor die Äußerungen der BKK enthielten unwahre Tatsachenbehauptungen. Insbesondere gehe die hausarztzentrierte Versorgung mit keiner Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit einher. Der Arzt verpflichte sich lediglich, im Rahmen seiner Therapiefreiheit die Wirtschaftlichkeit seiner Verordnung zu prüfen und zu beachten. Die beantragte Untersagung sei auch erforderlich, um die drohenden weiteren Rechtsverletzungen durch Verbreitung des Informationsblattes zulasten der Antragstellerin zu verhindern. Durch die Wiederholung der Äußerungen würden bei den Mitgliedern der Antragsstellerin sowie anderen Personen Nachteile und Verwirrungen eintreten, die im Nachhinein nicht wieder gut zu machen seien.

Das angerufene SG, wie nunmehr auch das LSG, sahen einen Anspruch auf einstweilige Sicherung der Antragstellerin nicht als gegeben an.

Anders als im klassischen Wettbewerbsrecht, welches auf das Verhältnis der gesetzlichen Krankenkassen untereinander keine Anwendung finde, werde die Dringlichkeit eines Vorgehens gegen die behauptete unwahre Tatsachenbehauptung in sozialgerichtlichen Verfahren nicht vermutet; § 12 Abs. 2 UWG finde keine Anwendung.

„Der Antragstellerin drohen keine gegenwärtigen Nachteile durch das von den Antragsgegnern vertriebene Informationsblatt. Denn die streitigen Informationen sind bereits am 12. Mai 2009 von der betreffenden Internetseite der Antragsgegnerin zu 2 gelöscht worden und diese wurde angewiesen, das Informationsblatt nicht mehr zu verwenden. Die Antragstellerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass allein damit eine Wiederholungsgefahr nicht beseitigt wird. Das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr als Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch begründet in Fallkonstellationen der vorliegenden Art jedoch noch keinen Anordnungsgrund. Zur Durchsetzung eines Unterlassungsanspruches gegen ein tatsächliches oder vermeintliches Fehlverhalten einer Krankenkasse oder ihres Verbandes im Bereich der Mitgliederwerbung - hierzu rechnet der Senat das von den Antragsgegnerinnen herausgegebene Informationsblatt - kann den Beteiligten grundsätzlich die Klärung der streitigen Fragen in einem Hauptsacheverfahren zugemutet werden, da eine mögliche Reaktion der Versicherten auf das beanstandete Verhalten in der Regel nicht sofort zu größeren wirtschaftlichen Nachteilen bei einer Krankenkasse führt. Solche wirtschaftlichen Nachteile sind im Übrigen auch nicht konkret bezeichnet und belegt worden", heißt es in den Gründen des Beschlusses.

Die BKK-Verbund Plus, die ihre streitgegenständliche Broschüre zwischenzeitlich aus dem Programm genommen hat, handelte nach Ansicht der Richter aber dennoch nicht auf Seiten des Rechts. Obwohl es - mangels Dringlichkeit - vorliegend gar nicht darauf ankam, ob die BKK rechtmäßig gehandelt hatte, führte das LSG aus:

„Die [BKKen] könnten mit den von der Antragstellerin beanstandeten Aussagen [...] gegen das öffentlich-rechtliche Gebot der Rücksichtnahme und die Pflicht zur sachbezogenen Information verstoßen. Schon der Umstand, dass die Antragsgegner die hausarztzentrierte Versorgung nahezu ausschließlich negativ darstellen, dürfte mit einer sachbezogenen Information kaum vereinbar sein, da es sich dabei um ein besondere Versorgungsform handelt, die nicht nur im Gesetz vorgesehen ist, sondern die nach § 73b Abs. 1 SGB V alle Krankenkassen anbieten müssen. Darüber hinaus spricht viel dafür, dass die Antragsgegner mit diesen Äußerungen den Eindruck erwecken, den Versicherten werde die Wahl ihres Arztes vorgeschrieben. Dabei ist die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung freiwillig (§ 73b Abs. 3 Satz 1 SGB V). Die Aussagen zur Therapiefreiheit in Hausarztmodellen entspricht wohl ebenfalls nicht den Tatsachen. Denn die ärztliche Therapiefreiheit darf in der hauarztzentrierten Versorgung nicht eingeschränkt werden und wird es auch nicht. Die Behauptung der Antragsgegner, das Informationsblatt sei als interne Argumentationshilfe für Mitarbeiter herausgegeben worden, dürfte schon durch die Überschrift widerlegt werden. Darin werden die Ausführungen als „Versicherten-Information Ihrer Krankenkassen" bezeichnet; außerdem werden die Versicherten auch an anderer Stelle direkt angesprochen."

Bewertung:

Meinungsfreiheit auf Seiten der gesetzlichen Krankenversicherung hat Grenzen. Anders als grundrechtsgeschütze Privatpersonen und Vereinigungen sind die gesetzlichen Krankenkassen in hohem Maße der Neutralität verpflichtet. Offene Kritik am System steht ihnen nicht zu; dies lässt sich dem Beschluss eindeutig entnehmen. So hart dies auf den ersten Blick klingen mag, so fandenscheinig erscheint auf den zweiten Blick das Vorgehen der BKK-Verbund Plus:

Ausweislich ihres eigenen Internetauftritts beteiligt sie sich nämlich an den ebenfalls höchst umstrittenen Direktverträgen rund um die Firmen IMEX und INDENTO. Im Internet heißt es:

„Zahnersatz zum Nulltarif

Der BKK VerbundPlus ist es gelungen kompetente Zahnärzte davon zu überzeugen, mehr für die Zahngesundheit ihrer Patienten zu tun. Als Mitglied der BKK VerbundPlus können Sie hiervon profitieren. Denn unsere Kooperation mit ausgewählten Zahnarztpraxen und dem Zahnlabor IMEX macht die Herstellung Ihres Zahnersatzes bis zu 50 Prozent günstiger. Ohne Kompromisse bei der Qualität!

Zahnreinigung kostenlos

Professionelle Zahnprophylaxe verbessert nachweislich die Zahngesundheit und hilft, Zahnerkrankungen wie Karies und Parodontose zu vermeiden. Im Zuge unseres Kooperationsvertrages mit IMEX bieten wir unseren Mitgliedern diese Zahnreinigung in den teilnehmenden Zahnarztpraxen an. Zweimal im Jahr und unabhängig von jährlichen Vorsorgeuntersuchungen können Sie diese Prophylaxe kostenlos in Anspruch nehmen!"

Wo bleibt hier der Hinweis darauf, dass die Patienten mit einer Teilnahme an diesem Programm auf Ihre freie Zahnärztewahl verzichten und die beteiligten Zahnärzte in Ihrer Therapiefreiheit eingeschränkt sind?

Dr. Robert Kazemi

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