LG Braunschweig: Matratzenfachverkäufer dürfen sich nicht als "Ergopraktiker" und "ärztlich geprüfte Schlafberater" bezeichnen
Das Landgericht (LG) Braunschweig (Urteil vom 17.07.2009, Az. 9 O 78/09) hat sich in einem nicht rechtskräftigen Urteil mit dem durch einen Matrazenfachhandel kreierten Berufsbild des "Ergopraktikers" sowie des "ärztlich geprüften Schlafberaters" befasst.
Die Beklagte stellt Matratzen, Bettwaren und Lattenrahmen her und vertreibt diese. Sie ist Inhaberin der Wortmarke "Ergopraktiker". Die Beklagte erlaubt Möbel- bzw. Bettwarenverkäufern die Marke zu verwenden, wenn sie erfolgreich an einem Seminar teilgenommen haben, das von der Beklagten unter der medizinischen Leitung eines Arztes durchgeführt wird.
Das Gericht untersagte die Werbung mit dem Prüfsiegel aus wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten.
Das Gericht sieht in den streitgegenständlichen Bezeichnungen, die in Form eines Gütesiegels geführt werden, eine Irreführung im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 3 UWG. Denn das Siegel enthalte zur Täuschung geeignete Angaben. Zur Begründung heißt es in dem Urteil:
„Überall dort, wo die Gesundheit in der Werbung ins Spiel gebracht wird, sind besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Aussagen zu stellen. Dies rechtfertigt sich in erster Linie daraus, dass die eigene Gesundheit in der Wertschätzung des Verbrauchers einen hohen Stellenwert hat und sich deshalb an die Gesundheit anknüpfende Werbemaßnahmen erfahrungsgemäß als besonders wirksam erweisen. So liegt der Fall hier [...] Mit dem Gütesiegel will die Beklagte gerade übliche Erwartungen an Bettenfachgeschäfte übertreffen und etwas Ungewöhnliches bieten, nämlich eine besonders gesundheitsbezogene, ärztlich "legitimierte" Beratung. Diesen strengen Anforderungen wird das Zeichen nicht gerecht [...]
bei dem Lehrgang zum Ergopraktiker [handelt es sich ] lediglich um eine berufliche Fortbildung, die schon von ihrer Dauer von vier Tagen nicht an eine übliche Berufsausbildung heranreicht. Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass der Lehrgang zum Ergopraktiker einen solchen Vorsprung gegenüber anderen Bettenfachverkäufern vermittelt, dass der durch die Worte "ärztlich geprüft" beim Verbraucher hervorgerufene Eindruck eines den Standard anderer Bettenfachverkäufer erheblich überragenden Fachwissens gerechtfertigt wäre. In einem viertägigen Kurs lässt sich erfahrungsgemäß kein "erheblich überragendes Fachwissen" vermitteln. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass auch andere Bettenfachverkäufer sich entsprechend fachlich fortbilden, ohne dies in der Werbung so herauszustellen wie die Beklagte. Denn gerade im Bereich des Matratzenverkaufs verlangt der Käufer erfahrungsgemäß eine Beratung, die auch die gesundheitlichen Aspekte berücksichtigt. Ein gesunder Schlaf ist für das Wohlbefinden des Menschen von herausragender Bedeutung. Konzentrations- und damit Leistungsfähigkeit hängen nach der Lebenserfahrung unmittelbar mit einem erholsamen Schlaf zusammen. Darüber hinaus leidet bekanntermaßen ein erheblicher Teil der Bevölkerung an Rückenbeschwerden, die durch eine "gute" Matratze kompensiert werden können. Es wäre lebensfremd zu glauben, dass diese Erkenntnis an anderen Bettenfachverkäufern vorübergegangen wäre."
Bewertung:
Das Urteil des LG Braunschweigs stellt die Gesundheitsfürsorge besonders in den Vordergrund. Ob sich die Wertungen des Gerichts in der Praxis jedoch tatsächlich als derart gravierend erweisen würden, erscheint aus hiesiger Sicht fraglich. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der durchschnittlich informierte und verständige Verbraucher, auf den allein abzustellen ist, nicht erwartet einen voll ausgebildeten Heilberufler in einem Möbelhaus oder einem Bettenfachgeschäft anzutreffen. Daher erwartet der Verbraucher von einem "Ergopraktiker" auch keine medizinischen Fachkenntnisse. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass Verbraucher - wenn überhaupt - lediglich von einer höheren Fachkompetenz des Verkäufers ausgehen. Diese Fachkompetenz könnte aber durchaus in einem viertägigen Seminar, welches von Fachärzten, Schlafforschern und Physiotherapeuten geleitet wurde, erlangt worden sein. Feststellungen über den genauen Inhalt der Fortbildung trifft das Gericht leider nicht.
Dr. Robert Kazemi