LG Bochum: Zur Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG -Nachforschungspflicht von Verbänden im Wettbewerbsrecht
Mit Urteil vom 02.09.2010 hat sich das Landgericht (LG) Dortmund mit der in Wettbewerbsstreitigkeiten immer wieder diskutierten Frage der Anforderung an die Widerlegung der in § 12 Abs. 2 UWG normierten Dringlichkeitsvermutung befasst (LG Dortmund, Urt. v. 02.09.2010 - 13 O 85/10). Die Dringlichkeitsvermutung erleichtert die gerichtliche Durchsetzung einstweiliger Rechtsansprüche im Wettbewerbsrecht. In Abweichung der sonst allgemein üblichen Regel, dass der Anspruchsteller im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens die Gründe die für eine Eilentschiedung sprechen (Dringlichkeit) darzulegen und glaubhaft zu machen hat, entbindet § 12 Abs. 2 UWG den Anspruchsteller im Wettbewerbsrecht von dieser Obliegenheit und stellt eine sog. widerlegliche Vermutung für das Vorliegen eines Eilbedürfnisses auf.
Immer wieder sind Fragen der Dringlichkeit Gegenstand der Auseinandersetzung in Wettbewerbssachen. Ein entscheidendes Kriterium ist dabei, dass der Anspruchsteller trotz Kenntnis eines wettbewerbswidrigen Verhaltens nicht unmittelbar gegen den Verletzer vorgegangen ist und damit zu verstehen gegeben hat, dass ihm die Einstellung des wettbewerbswidrigen Verhaltens nicht dringlich ist. Oftmals wird, da positive Kenntnis des Anspruchstellers schwer nachzuweisen ist, von den Inanspruchgenommenen daher argumentiert, der Anspruchsteller habe aufgrund grober Fahrlässigkeit erst später von dem Wettbewerbsverstoß Kenntnis erlangt und könne daher aktuell nicht mehr gegen den Wettbewerbsverstoß im Verfügungsverfahren vorgehen.
Diese Argumentation ist zugegeben nur äußerst selten erfolgreich. Denn nach höchstrichterlichen Rechtsprechungsgrundsätzen obliegt dem Mitbewerber grundsätzlich keine allgemein Marktbeobachtungspflicht, so dass von ihm nicht erwartet werden kann, sich immer über das Marktverhalten seiner Konkurrenz informiert zu halten.
Eine Einschränkung von diesem Grundsatz macht nun das LG Dortmund für Verbände. Zwar träfe auch diese keine grundsätzliche Marktbeobachtungspflicht, doch sei die Situation anders zu beurteilen, wenn einem Verband aus einem anderen Verfahren konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Wettbewerbsverstoß begangen wird.
In dem von LG Dortmund zu entscheiden Fall hatte der anspruchstellende journalistische Interessenverband eine Reihe von Urteilen vorgelegt, die darauf hinwiesen, dass in der Verlagsbranche Honorarregelungen verwandt werden, die den Autor benachteiligen und deren AGB-rechtliche Wirksamkeit umstritten ist. Der Verband musste nach Meinung des LG Dortmund angesichts dessen davon ausgehen, dass auch die zu einer nicht unbedeutenden Mediengruppe gehörende Verfügungsbeklagte Allgemeine Geschäftsbedingungen mit solchen Honorarregelungen verwendet. Er hätte sich durch Nachfrage bei seinem Landesverband und dessen Mitgliedern konkrete Kenntnis vom Inhalt der Regelungen beschaffen müssen.
Mit der Forderung einer konkreten Nachforschungspflicht wird der Verfügungskläger nach Ansicht des LG auch nicht in verfassungswidriger Weise benachteiligt. So hatte er nach eigenen Vorträgen aufgrund seiner Verbandstätigkeit Vorkenntnisse, die für ihn die Annahme eines Wettbewerbsverstoßes im konkreten Fall nahe legten. Wenn er in dieser Situation untätig bleibt, zeigt dies fehlendes Interesse an der sofortigen Unterbindung des Wettbewerbsverstoßes. Dies allein ist für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes von Bedeutung.
Bewertung:
Die Entscheidung des LG Dortmund ist aus Sicht größerer Verbände kaum zu begrüßen. Sie führt im Ergebnis dazu, dass derartige Verbände ab Kenntnis eines konkreten Wettbewerbsverstoßes eines Unternehmens dazu angehalten sind, Marktforschungen aufzunehmen, um festzustellen, ob auch noch weitere Unternehmen in gleicher (wettbewerbswidriger) Weise agieren. Eine derartige Verpflichtung erscheint freilich überspitzt und kaum zu rechtfertigen; sie privilegiert zudem denjenigen Verletzer, der erst spät erkannt wird und birgt daher die Gefahr, dass die den Interessenverbänden obliegende wettbewerbsrechtliche „Wächterfunktion" auf Dauer geschwächt wird. Dies aber kann nicht im Interesse eines lauteren Wettbewerbs sein. Es bleibt also zu hoffen, dass der klagende Verband sich mit der Berufung an das zuständige OLG gewandt hat.
Dr. Robert Kazemi