Landgericht Essen: Dent-net die Zweite – Die Werbung mit der Aussage „Zahnersatz zum Nulltarif“ ist irreführend
Mit (unbegründetem) Beschluss vom 15.01.2010 (Az.: 4 O 8/10) hat das LG Essen den Betreibern des sog. dent-net-Netzwerkes einstweilen untersagt im geschäftlichen Verkehr damit zu werben, dass Patienten, die sich dem Netzwerk anschließen „Zahnersatz ohne Zuzahlung" und/oder „Zahnersatz zum Nulltarif erhalten.
Der Fall:
Das LG hatte sich mit der Werbung des sogenannten „Dent-net-Verbundes" zu beschäftigen. Der Verbund warb im Internet auf seiner Startseite mit folgendem Text:
„Zahnersatz und Zahnreinigung „Zuzahlungsfrei"
Liebe Patientin, lieber Patient,
haben Sie sich nicht schon oft gefragt, ob bestimmte zahnärztliche Behandlungen und Zahnersatz nicht auch günstiger erhältlich sind, ohne auf Sicherheit und Qualität verzichten zu müssen? Genau mit diesem Ziel vor Augen hat es dent-net® erreicht, dass Patienten jetzt Zahnersatz sowie die halbjährliche Prophylaxe mit professioneller Zahnreinigung ohne jegliche Zuzahlung* erhalten können, sofern Sie Versicherungsnehmer bei einer der vielen teilnehmenden Krankenkassen sind. [...]"
In einem Sternchenhinweis war die Passage „ohne jegliche Zuzahlung" wie folgt erläutert:
„bei Regelleistung der GKV inkl. 30% Bonus".
Ein Mitbewerber des Portals sah hierin eine wettbewerbswidrige Werbung. Nach erfolgloser Abmahnung nahm er die Betreiber der Plattform im Wege der einstweiligen Verfügung erfolgreich vor dem LG Essen in Anspruch, das die Antragsgegner (vorerst) ohne mündliche Verhandlung zur Unterlassung verpflichtete.
Die Entscheidung:
Das LG stützt die Unterlassungsverpflichtung auf einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 5 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Hiernach handelt unlauter und damit wettbewerbswidrig, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt.
Ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot liegt vor, wenn eine Angabe geeignet ist, die Umworbenen irrezuführen und sie zu falschen Entscheidungen zu beeinflussen. Entscheidend ist dabei stets die Auffassung der Verkehrskreise, an die sich die Werbung richtet, so dass auch eine objektiv richtige Werbung subjektiv, d.h. in ihrer Wirkung auf das Publikum, geeignet sein kann, irrige Vorstellungen hervorzurufen. Ob eine Angabe geeignet ist irrezuführen, lässt sich daher nur feststellen, wenn man zuvor ihren Sinn ermittelt hat, den sie nach der Auffassung der umworbenen Verkehrskreise hat.
In dem hier streitgegenständlichen Fall ging es um eine sog. Blickfangwerbung. Von einer solchen spricht man, wenn im Rahmen einer Gesamtankündigung einzelne Angaben im Vergleich zu den sonstigen Angaben besonders herausgestellt sind, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erwecken. Dies war vorliegend der Fall, denn die vermeintliche „Zuzahlungsfreiheit" war nicht nur in der Überschrift des Textes enthalten, sondern auch innerhalb desselben durch Fettdruck hervorgehoben. Patienten mussten die Aussage so verstehen, dass sie im Rahmen des Netzwerkes jede Form von Zahnersatz bedingungslos zuzahlungsfrei erhalten können.
Dies ist jedoch tatsächlich nicht der Fall. Vergegenwärtigt man sich die Bedingungen, an die sich die Zuzahlungsfreiheit knüpft, wird deutlich, dass es sich bei der Aussage um eine irreführende handelt. So weist der Sternchenhinweis zwar darauf hin, dass die Zuzahlungsfreiheit nur „bei Regelleistung der GKV inkl. 30% Bonus" in Anspruch genommen wird, doch wird dieser Hinweis von Patienten kaum verstanden werden und führt diese Einschränkung gleichsam dazu, dass bis zu 70 % aller Patienten von vornherein von der Zuzahlungsfreiheit ausgeschlossen sind.
Eine von der Antragstellerin veranlasste Verkehrsbefragung bei 1000 Patienten hat nämlich ergeben, dass lediglich 28 % der befragten Patienten einen 30%igen Bonus bei Ihrer Krankenkasse beanspruchen können. Über 70% der Befragten hatte jedoch in den vergangenen 10 Jahren gerade nicht ununterbrochen Vorsorgeuntersuchungen bei Ihrem Zahnarzt durchführen lassen und sich nicht den berühmten Stempel im Bonusheftchen abgeholt. Ganz unabhängig davon, ob der durchschnittliche Patient - wovon nicht ausgegangen werden kann - den Sternchenhinweis überhaupt dahingehend versteht, dass er selbst über einen 30%tigen Bonus bei seiner Krankenkasse verfügen muss und nicht etwa so, dass die Zuzahlungsfreiheit aus einem 30%tigen Bonus seiner Krankenkasse zur Zahnersatzbehandlung resultiert, kann sich vorliegend eine Irreführung bereits aus dem Umstand ergeben, dass nur eine verhältnismäßig geringe Zahl aller Patienten (Beworbenen) das Angebot überhaupt wahrnehmen kann.
Zudem klärt das Netzwerk nicht darüber auf, was unter dem Begriff der Regelleistung zu verstehen ist. Für den zahnmedizinischen Laien ist es aber kaum möglich, den Umfang des Regelleistungsvolumens zu bestimmen. Woher soll der durchschnittlich informierte Patient beispielsweise wissen, dass die zuzahlungsfreie Verblendgrenze für Zahnersatz im Oberkiefer bis zum Zahn 5, im Unterkiefer aber nur bis zum Zahn 4 geht? Auch hier war die Aufklärung daher nicht hinreichend und damit irreführend.
Schließlich wurde nicht hinreichend im Rahmen der Blickfangwerbung darüber informiert, dass eine Zuzahlungsfreiheit im Rahmen der gleichartigen und der andersartigen Versorgung immer ausscheidet.
Damit aber enthält die Aussage „Zahnersatz zum Nulltarif" allenfalls die halbe Wahrheit. Die Werbende traf daher eine aus dem Irreführungsverbot abzuleitende Pflicht, die anderen belastenden Preisbestandteile klar zugeordnet und ähnlich deutlich herauszustellen. Von einer in diesem Sinne deutlichen Aufklärung konnte jedoch nicht die Rede sein. In Anbetracht der vorstehend geschilderten Umstände konnte sich eine solche nicht auf einen schlichten Sternchenhinweis beschränken. Da die Aussage zudem für eine Vielzahl von Patienten und Fallgestaltungen objektiv unzutreffend ist, war der Irreführungstatbestand erfüllt.
Bewertung:
Die vorliegende Entscheidung des LG Essens hat - sollte sie rechtskräftig werden - erhebliche Bedeutung für zahlreiche Strukturverträge im Bereich des Zahnersatzes. Nicht nur das dent-net, auch andere Anbieter werben mit der Zuzahlungsfreiheit, die tatsächlich kaum zum Tragen kommt und führen Verbraucher damit in die Irre. Die Entscheidung des LG Essens ist daher zu begrüßen. Neben § 5 UWG wäre hier aber wohl auch Nr. 21 des Anhanges zu § 3 UWG einschlägig gewesen, nach dem das Angebot eines Produkts als "gratis", "umsonst", "kostenfrei" oder dergleichen strikt verboten ist, wenn gleichwohl Kosten entstehen. Angesichts des klaren Wortlauts der Regelung dürfte dieses Werbeverbot auch absolut gelten, so dass auch ein Sternchenhinweis der über zusätzliche Kosten aufklärt die Wettbewerbswidrigkeit nicht beseitigen kann.
Dr. Robert Kazemi