KG Berlin: Abwertende Äußerung eines Apothekers in einem Leserbrief einer Apotheker-Zeitung über ein Pharma-Unternehmen kann zulässig sein
Selektiv- und Rabattverträge erhitzen die Gemüter, nicht nur der Ärzte und Zahnärzte, sondern auch der Apotheker, wie ein aktuelles Urteil des Kammergerichts (KG) Berlin vom 18.08.2009 (Az.: 5 W 95/09) verdeutlicht. Was also liegt da näher, als seinem Unmut in einem Leserbrief Luft zu machen und die Vertragsparteien derartiger Verträge öffentlich anzuprangern. In einem Land in dem Meinungsäußerungsfreiheit Grundrecht ist, auf den ersten Blick nicht viel. Die vorliegende Entscheidung zeigt jedoch, dass sich die Betroffenen hiergegen zur Wehr setzen. Und es muss nicht immer so glimpflich zugehen, wie im Fall des berliner Apothekers.
Was war geschehen?
Mit dem später streitgegenständlichen Leserbrief in der Apotheker-Zeitung vom 25. Juni 2009 hat sich der später in Anspruch genommene Apotheker an seine Kollegen gewendet. Zentraler Gegenstand des Beitrags war die von den AOKen begonnene und fortgeführte Praxis, mit einzelnen pharmazeutischen Unternehmen für einzelne Arzneimittel mit bestimmten arzneilichen Wirkstoffen (nach dem Auslaufen eines Patentschutzes) exklusive Rabattverträge nach § 130a Abs. 8 SGB V für ganz Deutschland abzuschließen. Die Krankenkassen wollen damit ihre Aufwendungen für bestimmte ärztlich verordnete Arzneimittel senken. Vertraglich verbundene Apotheker müssen (bei einer ärztlichen Verordnung nach dem Wirkstoff) diese rabattierten Arzneimittel an den Patienten abgeben, wenn sie nicht Nachteile bei der Preiserstattung durch die Krankenkassen hinnehmen wollen. Eine Ausnahme von dieser Auswahlbeschränkung für die Apotheker besteht insbesondere dann, wenn das Pharma-Unternehmen Lieferprobleme hat oder der Apotheker das bei ihm nicht vorrätige Arzneimittel nicht rechtzeitig besorgen und der Apotheker dies jeweils belegen kann. Nach einer ersten Ausschreibungsrunde hatten u.a. auch mittlere und kleinere Pharma-Unternehmen für einzelne Wirkstoffe den Zuschlag für exklusive Rabattverträge erhalten. Bei diesen Pharma-Unternehmen war es nachfolgend teilweise zu Lieferengpässen gekommen.
Vor diesem Hintergrund kritisierte der Apotheker in dem streitgegenständlichen Leserbrief die Rabattvereinbarung der AOK´s. Der "AOK-Guru H." feiere "vollmundig den zukünftigen Einsparerfolg durch Rabatt- und Wirkstoffverträge", insbesondere für O.-Verordnungen. Der Antragsgegner prüft dann im Einzelnen, wann ein Apotheker nach verschiedenen ärztlichen Verordnungen gezwungen ist, das rabattierte Arzneimittel der Antragstellerin abzugeben. Dabei weist er auf Gefahren für die Apotheker hinsichtlich der Preiserstattung durch die Krankenkassen hin. Er kommt zu dem Schluss, dass bei genauer Analyse klar werde, dass nur Bruchteile der O.-Verordnungen rabattfest seien und damit das Einsparziel in weite Ferne rücke. Abschließend nimmt der Apotheker auf den eingangs angesprochenen "AOK-Guru" Bezug und fragt: "Ist der Guru in Wahrheit ein Gaukler?". In seinem Leserbrief spricht der Apotheker auch die spätere Anspruchstellerin unmittelbar an. Hier heißt es: "Bundesweit erhält ein Garagenvertrieb mit Kartoffelpresse in Spanien den Zuschlag: K." an. Diese Äußerung fällt eingangs des Leserbriefs, nachdem der Apotheker die "vollmundige" Ankündigung eines Einsparerfolges des "AOK-Gurus" - insbesondere bezogen auf "5,8 Millionen O.-Verordnungen" - mitgeteilt hat.
Das KG gesteht dem klagenden Pharmaunternehmen trotz der namentlichen Ansprache keinen Unterlassungsanspruch gegen den Apotheker zu.
Nach Ansicht des KG ist dies darin begründet, dass sich der Apotheker vorliegend maßgeblich allein mit den von den AOKen angekündigten Einsparerfolgen durch die neuerlich abgeschlossenen Rabatt- und Wirkstoffverträge, insbesondere für den Wirkstoff Omeprazol, befasst hat und der Hinweis auf das Pharmaunternehmen nur beiläufig vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Apotheker in der Vergangenheit mit Lieferengpässen kleinerer Pharma-Unternehmen (die einen exklusiven Rabattvertrag erhalten hatten) und im Hinblick auf die geringe Größe des Pharmaunternehmens und deren fehlende eigene Produktionskapazitäten erfolgte.
Die im großen und ganzen als Meinungsäußerung zu qualifizierende Aussage des Apothekers erfüllte nach Ansicht des KG (noch) nicht die Voraussetzungen der Schmähkritik. Denn an die Bewertung einer Äußerung als Schmähkritik (Verunglimpfung) sind strenge Maßstäbe anzulegen, weil andernfalls eine umstrittene Äußerung regelmäßig ohne Abwägung dem Schutz der Meinungsfreiheit entzogen und diese damit in unzulässiger Weise verkürzt würde.
Erst wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht, die jenseits polemischer oder überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll, nimmt die Äußerung den Charakter einer unzulässigen Schmähung an. Danach macht auch eine überzogene oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung (BVerfG, NJW 2009, 749, juris Rn. 12 - Dummschwätzer).
Der vom Apotheker verwendete Begriff "Garagenvertrieb" spielt auf den dem Leser bekannten Umstand an, dass Unternehmer ihre geschäftliche Tätigkeit nicht selten ohne gesonderte Geschäftsräume von zuhause aus (aus der Garage heraus) beginnen. Damit wird das betroffene Pharmaunternehmen als ein sehr kleines, am Beginn einer Geschäftstätigkeit stehendes Unternehmen gekennzeichnet; diese Charakterisierung trifft weit gehend zu.
Die Wendung "mit Kartoffelpresse in Spanien" stellt sich in ihrer satirischen Einkleidung ebenso wenig als Schmähkritik dar. Der Begriff "Kartoffelpresse" bezeichnet ein Küchengerät zum Stampfen und Zerkleinern von Kartoffeln. Mit derartigen Küchengeräten kann - besser als mit einem Kartoffelstampfer - ein feines und sehr gleichmäßiges Kartoffelpüree hergestellt werden. Die Wendung "Presse" kann vorliegend (im hier gegebenen Zusammenhang mit der Herstellung von Arzneimitteln) auf den - den angesprochenen Apothekern bekannten - Vorgang des Pressens von Arznei in Tablettenform anspielen, und zwar in einer handwerklich sehr feinen und gleichmäßigen Art. Die Wendung "mit Kartoffelpresse in Spanien" kann daher darauf hinweisen, dass das Pharmaunternehmen eine Arzneimittelfertigung in Spanien unterhält oder von einem Hersteller in Spanien (als einem handwerklichen Hersteller ohne eigene Pharma-Forschung) beliefert wird. Dieser Aussagekern orientiert sich ebenfalls an den tatsächlichen Gegebenheiten.
Bewertung:
Die Entscheidung des KG ist äußerst liberal und stellt die Meinungsäußerung ersichtlich in den Vordergrund. Das KG hat dabei versucht, den Aussagen des Apothekers mit ausführlicher Begründung einen richtigen Sinn zu geben und sie im Übrigen als hinnehmbare Satire qualifiziert. Ob der vorliegende Fall von anderen Gerichten ebenso qualifiziert werden würde, erscheint zumindest nicht sicher. Sicher ist jedoch, hierauf sollte ein jeder achten, dort wo falsche Tatsachen behauptet oder Beleidigung ausgesprochen werden, tritt die Meinungsäußerungsfreiheit hinter dem Allgemeine Persönlichkeitsrecht oder der Ehre des Kritisierten zurück. Auch eine Tatsachenbehauptung, die nur Teilwahrheiten vermittelt und dadurch beim Adressaten der Äußerung zu einer Fehleinschätzung des Angegriffenen führt, ist rechtswidrig. Nur wo Tatsachenbehauptungen und Wertungen zusammenwirken, wird grundsätzlich der Text in seiner Gesamtheit von der Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst. Sofern eine Äußerung, in der sich Tatsachen und Meinungen vermengen, in entscheidender Weise durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, wird sie als Werturteil und Meinungsäußerung in vollem Umfang vom genannten Grundrecht geschützt.
Dr. Robert Kazemi