Keine Ruhe im Apothekenmarkt: Generalanwalt beim EuGH beurteilt spanische Regelungen zum Apothekenwesen als gemeinschaftsrechtswidrig
Am 30. September legte Generalanwalt Poiares Maduro seine Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen C-570/07 und C-571/07 (José Manuel Blanco Pérez und María del Pilar Chao Gómez) vor. Der Generalanwalt kommt zu dem Schluss, dass eine Regelung, die die Anzahl der Apotheken in einem Gebiet nach Maßgabe der dortigen Bevölkerungszahl begrenzt (hier die spanische Region Asturien), gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen kann.
Der Fall:
Zwei spanische Staatsangehörige, besitzen einen Abschluss als Apotheker, verfügen jedoch nicht über eine Zulassung zur Eröffnung einer Apotheke. Um eine Apotheke zu eröffnen benötigen Sie eine Zulassung der Autonomen Gemeinschaft Asturien in Spanien, die ihnen verweigert wird, weil die Zulassungsverordnung eine Begrenzung der Anzahl der Apotheken in einem Gebiet nach Maßgabe der dortigen Bevölkerungszahl und eine geografische Begrenzung, durch die die Eröffnung einer neuen Apotheke in einer Entfernung von weniger als 250 Metern von einer anderen Apotheke vorsieht. Das vorlegende spanische Gericht sieht hierin eine ungerechtfertigte Beschränkung der gemeinschaftsrechtlich garantierten Niederlassungsfreiheit. Diesen Standpunkt teilt nun auch Generalanwalt Maduro.
Die Stellungnahme des Generalanwaltes:
Die Stellungnahme des Generalanwaltes soll zunächst auszugsweise wörtlich wiedergegeben werden, denn gerade seine einführenden und mahnenden Worte sind besonders lesenswert. Hier heißt es:
„Die Befürchtung, dass bedürftige Apotheker ihre beruflichen Pflichten vernachlässigen könnten, ist nicht neu. Sie besteht mindestens seit der Zeit, als Shakespeares Romeo einen „armen Schelm" von einem Apotheker mit folgenden Worten dazu bewog, ihm Gift zu verkaufen:
„Der Hunger sitzt in deinen hohlen Backen,
Not und Bedrängnis darbt in deinem Blick,
Auf deinem Rücken hängt zerlumptes Elend,
Die Welt ist nicht dein Freund, noch ihr Gesetz;
Die Welt hat kein Gesetz, dich reich zu machen:
Drum sei nicht arm, brich das Gesetz und nimm."
Dem Gedankengang Shakespeares folgend könnte man sagen, dass es in dem vorliegenden Fall im Kern um die Frage geht, inwieweit man einige Apotheker reich machen muss, um die Qualität der pharmazeutischen Versorgung zu gewährleisten. In der Tat rechtfertigen die asturischen Behörden - und die Behörden anderer Mitgliedstaaten mit ähnlichen Vorschriften - ihre Regelungen, durch die die Eröffnung neuer Apotheken beschränkt wird, zumeist mit der Notwendigkeit, die richtigen finanziellen Anreize für eine möglichst flächendeckende und gute pharmazeutische Versorgung aufrechtzuerhalten. Dies erfordert ihrer Ansicht nach einerseits, existierende Apotheken vor den „Gefahren" des Wettbewerbs zu schützen, und andererseits, Apotheker für weniger gewinnträchtige Gebiete zu gewinnen, indem der Zugang zu den profitabelsten Gebieten beschränkt wird. Ich habe keine Zweifel, dass die zur Verfügung stehende Versorgung durch die finanziellen Begleitumstände beeinflusst wird. Es ist legitim, wenn Staaten ihren Regelungen solche Überlegungen zugrunde legen, soweit diesen Erwägungen bei der Verfolgung eines öffentlichen Ziels wie des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung entscheidende Bedeutung zukommt. Auf der anderen Seite können sich die Staaten nicht einfach auf die angesprochene mögliche Wechselwirkung berufen, um jede beliebige Regelung zu rechtfertigen. Rechtsvorschriften, die einigen Wirtschaftsteilnehmern bestimmte finanzielle Vorteile gegenüber anderen verschaffen, müssen eingehend geprüft werden[...]"
Der Generalanwalt unterzieht die streitgegenständlichen Normen einer kritischen Wertung und gelangt zu dem Ergebnis, dass derartige Beschränkungen, wie sie in Spanien vorzufinden sind, dem Grunde nach geeignet und auch erforderlich sind, um dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zu dienen; eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit kommt damit grundsätzlich in Betracht.
Wie bereits die Entscheidung des EuGH im Glücksspielsektor, aber auch die in Deutschland breit beachtete „Doc Morris-Entscheidung" zeigen, reichen Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Regelung für sich genommen nicht aus, um die im EG-Vertrag verankerten Grundfreiheiten (hier die Niederlassungsfreiheit) zu beschränken; derartige Regelungen müssen zudem angemessen sein, was im Lichte der EuGH-Rechtsprechung erfordert, dass die Regelung die Ziele, die der Mitgliedstaat zu ihrer Rechtfertigung geltend macht, tatsächlich in einer einheitlichen und kohärenten Weise fördert. Maduro stellt fest, dass die Beweislast dafür, dass eine beschränkende Maßnahme zur Zielerreichung angemessen und erforderlich ist, dem Staat obliegt.
Nach Ansicht des Generalanwaltes ist diese Beweisführung im zu entscheidenden Fall nicht gelungen. Denn der Mitgliedstaat hat seines Erachtens nicht dargetan, dass eine Begrenzung des Wettbewerbs zur Erreichung des Ziels einer qualitativ hochwertigen pharmazeutischen Versorgung erforderlich ist oder dazu in einem angemessenen Verhältnis steht.
Bewertung:
Zulassungsbeschränkungen im Apothekensektor gehören in der Bundesrepublik seit dem sog. Apotheker-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) der Vergangenheit an. Im Interesse eines gesunden innereuropäischen wie nationalen Wettbewerbs auch im Gesundheitssektor, ist zu hoffen, dass der EuGH Maduro folgen wird. Für die Bundesrepublik ergeben sich durch den Schlussantrag Konsequenzen eher auf anderem Gebiete. So wird zu fragen sein, inwieweit die im Bereich der Humanmedizin noch und nahezu flächendeckend weiterhin existenten Zulassungsbeschränkungen nach einem Urteil des EuGH in vorgenannter Rechtssache aufrechterhalten werden können. Auch hier rechtfertigen sich die Zulassungsbeschränkungen doch vorwiegend aus dem Gedanken, eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung der Bevölkerung zu sichern.
Dr. Robert Kazemi