EuGH: Keine markenrechtlichen Unterlassungsansprüche gegenüber Google bei der Verwendung markenidentischer oder –ähnlicher „AdWords“
Das Google AdWords-Programm hat in den vergangenen Jahren zu einer kontroversen juristischen Diskussion Anlass gegeben, die sich vornehmlich auf Fragen des Markenrechts sowie des unlauteren Wettbewerbs konzentriert. Zu der markenrechtlichen Einordnung dieser besonderen Form der Online-Werbung trägt nun ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in den verbundenen Rechtssachen C-236/08 bis C-238/08 (EuGH, Urteil vom 23.03.2010, Rs. C-236/08 bis C-238/08 - Google ./. Louis Vuitton u.a.) bei.
Hintergründe:
Funktion der AdWords
Führt ein Internetnutzer eine Suche anhand eines oder mehrerer Wörter durch, zeigt Google die Internetseiten, die diesen Wörtern am ehesten zu entsprechen scheinen, nach abnehmender Relevanz an. Dies sind die sogenannten „natürlichen" Suchergebnisse.
Daneben bietet Google gegen Entgelt einen „AdWords" genannten Referenzierungsdienst an. Dieser ermöglicht es einem Wirtschaftsteilnehmer mittels Auswahl eines oder mehrerer Schlüsselwörter, für den Fall der Übereinstimmung zwischen diesen und den Wörtern, die in der von einem Internetnutzer an die Suchmaschine gerichteten Suchanfrage enthalten sind, einen Werbelink zu seiner Internetseite erscheinen zu lassen. Dieser Werbelink erscheint in der Rubrik „Anzeigen", die am rechten Bildschirmrand, rechts von den natürlichen Ergebnissen, oder im oberen Teil des Bildschirms oberhalb dieser Ergebnisse angezeigt wird. Dem genannten Werbelink wird eine kurze Werbebotschaft beigefügt. Dieser Link und diese Botschaft bilden zusammen die Anzeige, die in der oben genannten Rubrik erscheint. Für den Referenzierungsdienst hat der Werbende pro Klick auf den Werbelink eine Vergütung zu zahlen. Diese Vergütung bestimmt sich u. a. nach dem „maximalen Preis-pro-Klick", zu dessen Zahlung sich der Werbende bei Abschluss des Vertrags über den Referenzierungsdienst bereit erklärt hat, und nach der Zahl der Klicks der Internetnutzer auf diesen Link. Mehrere Werbende können dasselbe Schlüsselwort auswählen. In welcher Reihenfolge ihre Werbelinks gezeigt werden, hängt dann insbesondere ab vom jeweiligen maximalen Preis-pro-Klick, von der Zahl der Klicks, die diese Links erhalten haben, und von der Qualität der Anzeige, wie Google sie bewertet. Der Werbende kann die Position seiner Anzeige in der Reihenfolge jederzeit verbessern, indem er den maximalen Preis-pro-Klick erhöht oder versucht, die Qualität seiner Anzeige zu steigern. Google hat ein automatisches Verfahren für die Auswahl von Schlüsselwörtern und die Erstellung von Anzeigen eingerichtet: Die Werbenden wählen die Schlüsselwörter aus, verfassen die Werbebotschaft und setzen einen Link auf ihre Website.
Streitfragen
Louis Vuitton und andere Markeninhaber bemängelten, dass die Suchmaschine bei der Eingabe von Wörtern, aus denen ihre Marken bestehen, in der Rubrik „Anzeigen" Links zu Websites gezeigt habe, auf denen Nachahmungen von Waren der Markeninhaber dargeboten worden seien oder auf solche Seiten, die ersichtlich überhaupt keinen Zusammenhang mit den Waren- oder Dienstleistungen der Markeninhaber hatten. Ferner wurde festgestellt, dass Google den Werbenden nicht nur die Möglichkeit geboten habe, den Marken entsprechende Schlüsselwörter auszuwählen, sondern auch, diese Schlüsselwörter mit Ausdrücken zu kombinieren, die auf die Nachahmung hinwiesen, wie „Imitat" und „Kopie". Die Markeninhaber sahen hierin eine Verletzung ihrer Markenrechte und nahmen Google darauf hin (in Frankreich) auf Unterlassung in Anspruch. Nachdem Google in den ersten zwei Instanzen entsprechend den Klageanträgen verurteilt worden war, legte der Cour de cassation die markenrechtlichen Fragestellungen dem EuGH zur Entscheidung vor; das Gericht will wissen, ob in dem Angebot Googles tatsächlich eine markenverletzende Handlung zu sehen sei oder nicht.
Die Entscheidung:
Keine markenmäßige Benutzung durch Google
Der EuGH stellt in seinem Urteil fest, dass markenrechtliche Unterlassungsansprüche gegenüber Google grundsätzlich nicht zu begründen seien. Denn nach Ansicht des EuGH liegt allein in dem Service von Google noch keine markenmäßige Benutzung geschützter Kennzeichen. Die Schaffung der technischen Voraussetzungen für die Benutzung eines Zeichens, und sei es durch eine vergütungspflichtige Dienstleistung, bedeutet nach Ansicht des EuGH nämlich nicht, dass der Erbringer der Dienstleistung dieses Zeichen selbst benutzt (Rz. 55 - 57 des Urteils). Eine Markenrechtsverletzung durch Google scheidet damit aus.
Unterlassungsansprüche gegenüber den Werbenden nur bei Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion der Marke
Weitaus interessanter sind die Ausführungen des EuGH dann aber in Bezug auf die Frage, ob gegen denjenigen, der AdWords-Werbung schaltet, markenrechtliche Unterlassungsansprüche hergeleitet werden können. In diesem Zusammenhang führt das Gericht zunächst aus, dass derjenige, der sich fremden Kennzeichen im Rahmen einer AdWords-Werbung bedient, eine markenmäßige Benutzung der fremden Kennzeichen vornehme. Denn aus der Sicht des Werbenden werde mit der Auswahl des mit der Marke identischen Schlüsselworts bezweckt und bewirkt, dass ein Werbelink zu der Website gezeigt wird, auf der er seine Waren und Dienstleistungen anbietet. Da das als Schlüsselwort ausgewählte Zeichen der Auslöser für das Erscheinen dieser Werbung ist, sei unbestreitbar, dass der Werbende es im Zusammenhang mit seiner kommerziellen Tätigkeit benutzt (Rz. 52, 69 ff. des Urteils).
Dieser Umstand allein vermag eine Markenverletzung und damit Unterlassungsansprüche der Markeninhaber nach Ansicht des EuGH nicht zu begründen. Vielmehr könne eine „markenmäßige" Benutzung nur dann angenommen werden, wenn mit der Benutzung auch eine Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion der Marke einhergehe.
Ob es diese Funktion der Marke beeinträchtigt, wenn Internetnutzern anhand eines mit der Marke identischen Schlüsselworts eine Anzeige eines Dritten, z. B. eines Mitbewerbers des Inhabers der Marke, gezeigt wird, hängt nach Ansicht des EuGH insbesondere davon ab, wie diese Anzeige gestaltet ist:
Die herkunftshinweisende Funktion der Marke ist beeinträchtigt, wenn aus der Anzeige für einen normal informierten und angemessen aufmerksamen Internetnutzer nicht oder nur schwer zu erkennen ist, ob die in der Anzeige beworbenen Waren oder Dienstleistungen von dem Inhaber der Marke oder einem mit ihm wirtschaftlich verbundenen Unternehmen oder vielmehr von einem Dritten stammen.
In einer solchen Situation, die im Übrigen dadurch gekennzeichnet ist, dass die fragliche Anzeige sofort erscheint, sobald ein Internetnutzer die Marke als Suchwort eingegeben hat, und zu einem Zeitpunkt gezeigt wird, zu dem die Marke auf dem Bildschirm auch in ihrer Eigenschaft als Suchwort sichtbar ist, kann sich der Internetnutzer hinsichtlich des Ursprungs der betroffenen Waren oder Dienstleistungen irren. Unter diesen Umständen kann die Benutzung des mit der Marke identischen Zeichens durch den Dritten als Schlüsselwort, das das Erscheinen der Anzeige auslöst, den Eindruck entstehen lassen, dass im geschäftlichen Verkehr eine konkrete Verbindung zwischen den betroffenen Waren oder Dienstleistungen und dem Markeninhaber besteht.
Wird in der Anzeige des Dritten suggeriert, dass zwischen diesem Dritten und dem Markeninhaber eine wirtschaftliche Verbindung besteht, wird daher auf eine Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion zu schließen sein.
Wird in der Anzeige das Bestehen einer wirtschaftlichen Verbindung zwar nicht suggeriert, ist sie aber hinsichtlich der Herkunft der fraglichen Waren oder Dienstleistungen so vage gehalten, dass ein normal informierter und angemessen aufmerksamer Internetnutzer auf der Grundlage des Werbelinks und der ihn begleitenden Werbebotschaft nicht erkennen kann, ob der Werbende im Verhältnis zum Markeninhaber Dritter oder vielmehr mit diesem wirtschaftlich verbunden ist, wird ebenfalls auf eine Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion zu schließen sein.
Der Werbetreibende muss also durch die Gestaltung seiner Anzeige deutlich machen, dass er nicht mit dem Markeninhaber wirtschaftlich verbunden ist, will er eine Markenverletzung vermeiden.
Bewertung:
Jedem AdWords-Werbetreibenden ist daher dringend zu empfehlen, seine Anzeigenkampagne vor dem Hintergrund der hier besprochenen EuGH-Entscheidung noch einmal kritisch zu überprüfen oder durch einen Rechtsanwalt überprüfen zu lassen. Hinzu kommt, auch dies hat der EuGH klargestellt, dass die Verwendung von AdWords auch dann unzulässig sein kann, wenn eine Markenverletzung nicht gegeben ist und zwar auf Grundlage der Vorschriften des unlauteren Wettbewerbs. Zielt eine AdWords-Kampagne darauf, einen Markeninhaber „gezielt" zu behindern, können sich daher auch wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche ergeben.
Dr. Robert Kazemi