EuGH: Keine generelle Wertersatzpflicht nach Widerruf eines Fernabsatzvertrages
Nach § 357 BGB kann der Verkäufer einer Ware vom Käufer derselben Wertersatz für die Nutzung der gelieferten Ware auch für den Zeitraum verlangen, in dem der Käufer aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen über sog. Fernabsatzgeschäfte zum Widerruf des mit dem Verkäufer geschlossenen Kaufvertrages berechtigt ist. Voraussetzung ist nur, dass der Verkäufer den Verbraucher vor der Bestellung ausdrücklich auf die Wertersatzpflicht hinweist.
Das Amtsgericht Lahr hatte mit eben dieser generellen Wertersatzpflicht des Verbrauchers so seine Probleme und legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Rahmen eines sog. Vorabentscheidungsverfahrens die Frage der Vereinbarkeit der in der Bundesrepublik normierten Wertersatzpflicht mit den europäischen Richtlinienvorgaben vor.
Mit Urteil vom 03.09.2009 (Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-489/07 - Pia Messner /Firma Stefan Krüger) hat der EuGH nunmehr entschieden, dass Bestimmungen, wie die des § 357 BGB mit den europarechtlichen Vorgaben unvereinbar sind. In der Pressemitteilung des Gerichtshofes heißt es:
"Der Gerichtshof [stellt] fest, dass die generelle Auferlegung eines Wertersatzes für die Nutzung der durch einen Vertragsabschluss im Fernabsatz gekauften Ware mit den Zielen der Richtlinie unvereinbar ist. Denn wäre das Widerrufsrecht mit negativen Kostenfolgen verbunden, könnte dies den Verbraucher davon abhalten, von diesem Recht Gebrauch zu machen.
Falls nämlich der Verbraucher einen solchen Wertersatz allein deshalb leisten müsste, weil er die Möglichkeit hatte, die durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware in der Zeit, in der er sie im Besitz hatte, zu benutzen, könnte er sein Widerrufsrecht nur gegen Zahlung dieses Wertersatzes ausüben. Eine solche Folge nähme dem Verbraucher insbesondere die Möglichkeit, die ihm von der Richtlinie eingeräumte Bedenkzeit völlig frei und ohne jeden Druck zu nutzen.
Außerdem würden die Wirksamkeit und die Effektivität des Rechts auf Widerruf beeinträchtigt, wenn dem Verbraucher auferlegt würde, allein deshalb Wertersatz zu zahlen, weil er die durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware geprüft und ausprobiert hat. Da das Widerrufsrecht gerade zum Ziel hat, dem Verbraucher diese Möglichkeit einzuräumen, kann deren Wahrnehmung nicht zur Folge haben, dass er dieses Recht nur gegen Zahlung eines Wertersatzes ausüben kann."
Die in der Bundesrepublik normierte generelle Wertersatzpflicht muss daher in Zukunft (wohl) unangewendet bleiben. Der EuGH macht hiervon jedoch eine Ausnahme:
"Die Richtlinie hat allerdings nicht zum Ziel, dem Verbraucher Rechte einzuräumen, die über das hinausgehen, was zur zweckdienlichen Ausübung seines Widerrufsrechts erforderlich ist. Demzufolge steht die Richtlinie grundsätzlich Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegen, wonach der Verbraucher einen angemessenen Wertersatz zu zahlen hat, wenn er die durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware auf eine mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat."
heiß es in der Pressemitteilung weiter. Was dies genau zu bedeuten hat, wird nunmehr das AG Lahr zu beurteilen haben. Der EuGH stellt jedoch fest, dass die Wertersatzpflicht auch in diesem Falle nicht "außer Verhältnis" zum Kaufpreis stehen dürfe. Ob sich vor diesem Hintergrund überhaupt ein Anwendungsbereich für die Wertersatzpflicht eröffnet, wird die zukünftige Rechtsprechung zeigen, jedenfalls ein Wertersatz für den "normalen Gebrauch" zu Testzwecken während der zweiwöchigen Widerrufsfrist wird nach hiesiger Einschätzung kaum noch zu realisieren sein.
Unternehmern ist in jedem Fall anzuraten, die Rechtsentwicklung zu verfolgen und ihre Bestellpraxis kritisch zu überprüfen. Denn nach den aktuellen Bestimmungen des UWG stellt auch die Verwendung nachvertraglicher und unwirksamer Vertragsklauseln - wie AGB oder Widerrufsbelehrung- (hier: "Wer widerruft muss Wertersatz leisten.") eine unlautere geschäftliche Handlung im Sinne des § 3 UWG dar. Die Bestimmungen der Richtlinie zum Fernabsatz sind - zumindest im Rahmen europarechtskonformer Auslegung - auch in der Bundesrepublik zu beachten, so dass die Forderung eines nicht gerechtfertigten "generellen" Wertersatzes zugleich wettbewerbswidrig sein kann.
Dr. Robert Kazemi