EuGH: Fremdbesitzverbot für Apotheken bestätigt (DocMorris) – Konsequenzen für den Binnenmarkt
Die einen bejubeln es seit gut einer Woche, die anderen trauern – das DocMorris-Urteil des EuGH vom 19. Mai 2009 (Rechtssachen C-171/07 und C-172/07) spaltet nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa in zwei Lager. Zu Recht, denn die Entscheidung des EuGH könnte Konsequenzen für den gesamten Binnenmarkt zeichnen, die auch für andere regulierte Wirtschaftszweige von Bedeutung sein können. Sicherlich ist hier an den restlichen Gesundheitssektor ebenso zu denken wie an den Glücksspielsektor.
Vordergründig hat der EuGH – den Schlussanträgen seines Generalanwaltes Bot folgend – lediglich das deutsche Fremdbesitzverbot für Apotheken bestätigt. Ein genauerer Blick in die Urteilsgründe verdeutlicht hingegen das Ausmaß der Entscheidung für den Binnenmarkt.
Ein schwarzer Tag für Europa?
Nach genauer Durchsicht muss man die Frage (wohl) mit „JEIN“ beantworten.
Der EuGH stellt zunächst fest, dass das Gemeinschaftsrecht zwar die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit und insbesondere für den Erlass von Vorschriften zur Organisation von Diensten im Gesundheitswesen ebenso wie die Zuständigkeit betreffend die ordnungspolitischen Aspekte der Kriminalitätsbekämpfung und Suchtprävention weitestgehend unberührt lässt. Er stellt jedoch in erfreulicher Deutlichkeit klar, dass die Mitgliedstaaten auch in diesen Bereichen bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit das Gemeinschaftsrecht und insbesondere die Bestimmungen des Vertrags über die Verkehrsfreiheiten einschließlich der Niederlassungsfreiheit zu beachten haben.
Diese Bestimmungen untersagen es den Mitgliedstaaten, ungerechtfertigte Beschränkungen der Ausübung dieser Freiheiten einzuführen oder beizubehalten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Mai 2006, Watts, C-372/04, Slg. 2006, I-4325, Randnrn. 92 und 146, und vom 10. März 2009, Hartlauer, C-169/07, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 29). Bei der Prüfung, ob das genannte Gebot beachtet worden ist, ist zu berücksichtigen, dass unter den vom Vertrag geschützten Gütern und Interessen die Gesundheit und das Leben von Menschen den höchsten Rang einnehmen und dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, zu bestimmen, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll.
Hierzu geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass eine nationale Regelung nur dann geeignet ist, die Erreichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (vgl. Urteile vom 6. März 2007, Placanica u. a., C-338/04, C-359/04 und C-360/04, Slg. 2007, I-1891, Randnrn. 53 und 58, vom 17. Juli 2008, Corporación Dermoestética, C-500/06, Slg. 2008, I-0000, Randnrn. 39 und 40, sowie Hartlauer, Randnr. 55).
Soweit ist der Entscheidung zuzustimmen. Nicht mehr nachvollziehbar ist jedoch die Wende die der EuGH in einem kleinen Teilsatz seiner Entscheidung vollzieht.
Bislang war es so, dass der EuGH den nationalen Beurteilungsspielraum wesentlich enger aufgefasst hat, als es beispielsweise das BVerfG in ständiger Rechtsprechung handhabt. Der EuGH setzte dementsprechend, beispielsweise im Bereich der Glücksspielmonople gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für die Erforderlichkeitsprüfung fest. Er begrenzte den nationalen Beurteilungsspielraum zur Legalisierung eines Staatsmonopols dahingehend, dass die zur Rechtfertigung einer Monopolisierung angeführten Gründe nicht nur formal bestehen, sondern erstens „wirklich“ jenen rechtlichen Zielsetzungen dienen (EuGH Plenum, Urteil vom 6. 11. 2003, Rs C-243/01 - Piergiorgio Gambelli u. a.), und zweitens die Effizienz dieser Beschränkung der Grundfreiheiten plausibel mit hinreichenden Fakten belegt sein musste (EuGH, Urteil vom 7. 7. 2005 - C-147/03). Dementsprechend war jeder Mitgliedstaat gehalten die Wirksamkeit ihrer Gesetzgebung sozialwissenschaftlich begleiten zu lassen. Durch die Justiz der Mitgliedstaaten sind diese Vorgaben des EuGH, bislang eher zurückhaltend aufgegriffen worden.
Sollten die im Rahmen der Entscheidung „DocMorris“ zu lesenden Urteilsgründe allgemeine Bedeutung erlangen, könnte diese Zurückhaltung zukünftig auch europarechtlich hinreichend sein. Denn, der EuGH formuliert:
„Folglich kann ein Mitgliedstaat im Rahmen seines in Randnr. 19 des vorliegenden Urteils erwähnten Wertungsspielraums der Ansicht sein, dass der Betrieb einer Apotheke durch einen Nichtapotheker im Unterschied zu einer von einem Apotheker betriebenen Apotheke eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung, insbesondere für die Sicherheit und Qualität des Einzelhandelsvertriebs der Arzneimittel, darstellen kann [...]“ (Urteil des EuGH Rdn. 39 – Hervorhebung nicht im Original)
Soll es also in Zukunft ausreichen, dass der Mitgliedstaat der „Ansicht ist“ ein Monopol sei zum Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter gerechtfertigt? Oder hält der Gerichtshof weiterhin an seiner Rechtsprechungslinie aus den Rechtssachen Schindler, Zenatti, Gambelli und Placanica fest, wonach eine Gefährdung plausibel mit hinreichenden Fakten belegt sein muss?
Staatlicherseits wird versucht werden, die erstgenannte Frage mit „Ja“ zu beantworten, um – vor allem im hart umkämpften Glücksspielmarkt – jegliche europarechtliche Gegenwehr bereits im Keim zu ersticken. Ein derartiges Vorgehen scheint aus hiesiger Sicht hingegen falsch. Zum einen hat sich der EuGH im Rahmen seiner weitergehenden Prüfung sehr wohl – wenn auch in nicht nachvollziehbarer Kürze – mit den einzelnen zur Rechtfertigung des Fremdbesitzverbotes angeführten Argumenten auseinandergesetzt. Zum anderen hat er zur Entscheidungsbegründung auch in diesem Prozess auf die Entscheidungen in den Rechtssachen Schindler, Zenatti, Gambelli und Placanica wie auch auf die nur kurz zuvor entschiedene Rechtssache Hartlauer ausdrücklich verwiesen. Hätte der Gerichtshof also seine Rechtsprechung zur gemeinschaftrechtlichen Erforderlichkeitsprüfung tatsächlich aufgeben wollen, hätte dies im Rahmen der Entscheidung, über den „Teilsatz“ hinaus breitere Beachtung finden müssen. Es ist daher davon auszugehen, dass es sich hier entweder lediglich um eine „unglückliche“ oder aber einer „unbedachte“ Formulierung handelt. In jedem Fall geht damit eine Kehrtwende nicht einher.
Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH dies im Rahmen der anstehenden Entscheidung in der Rechtssache Liga Portuguesa de Futebol Profissional (Rechtssache C-42/07) klarstellen wird und auch die nationalen Gerichte die Tragweite der Entscheidung Doc Morris nicht überbewerten.
Dr. Robert Kazemi