EuGH: Erstattungsfähigkeit der Hinsendekosten im Falle des Widerrufs eines Fernabsatzgeschäftes
Mit Urteil vom 15.04.2010 (Rechtssache C-511/08 - Handelsgesellschaft Heinrich Heine GmbH / Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e. V.) hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der Frage zu beschäftigen gehabt, ob es einem Mitgliedstaat gestattet ist, für im sog. Fernabsatz geschlossene Verträge vorzusehen bzw. zu gestatten, dass Unternehmer den Verbrauchern für den Fall, dass letztere von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machen, die Kosten der Hinsendung der Ware auferlegen können.
Anlass für das Urteil gab eine deutsche Vorlagefrage des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 01. Oktober 2008 (BGH, Beschluss v. 01.10.2008, Az. VIII ZR 268/07) mit der das Gericht wissen wollte, ob die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die Kosten der Zusendung der Waren auch dann dem Verbraucher auferlegt werden können, wenn er den Vertrag widerrufen hat?
Problemstellung:
Der in Deutschland ansässige Versandhändler Heinrich Heine GmbH hatte in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) folgende Bestimmung aufgenommen:
„Bei .... kaufen Sie auf Probe, d.h. Sie können gelieferte Ware ohne Angabe von Gründen innerhalb von 14 Tagen zurückgeben. Der Kaufvertrag/Kreditkaufvertrag wird ab Erhalt der Ware durch Ihre Billigung wirksam, spätestens jedoch nach Ablauf dieser 14-tägigen Frist,
Die Firma ... trägt einen Großteil der Kosten für die sorgfältige Verpackung und die zuverlässige Zustellung der Ware. Ihr Versandkostenanteil beträgt pro Bestellung aktuell nur pauschal €4,95."
Der Versandhändler berechnete den Versandkostenanteil auch denjenigen Kunden, die den Vertrag aufgrund ihnen zustehender Widerrufs- bzw. Rückgaberechte rückabwickelten. In Fällen, in denen der Kaufpreis und der Versandkostenanteil noch nicht bezahlt wurden, stellte er den Kunden Rechnungen über den Versandkostenanteil aus; ansonsten erstattete er den Kaufpreis und behielt den Versandkostenanteil ein.
Der klagende Verbraucherverband sah hierin einen Verstoß gegen höherrangiges europäisches Recht, genauer gegen Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz FernabsatzRL), wonach die Kosten der Rücksendung der Ware die einzigen Kosten seien, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden könnten.
Entscheidung des EuGH:
Dieser Auffassung folgt nun auch der EuGH. Das Gericht stellt fest, dass die FernabsatzRL einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der Lieferer in einem im Fernabsatz abgeschlossenen Vertrag dem Verbraucher die Kosten der Zusendung der Waren auferlegen darf, wenn dieser sein Widerrufsrecht ausübt.
Die Bestimmungen der Richtlinie zu den Rechtsfolgen des Widerrufs hätten eindeutig zum Ziel, den Verbraucher nicht von der Ausübung seines Widerrufsrechts abzuhalten. Eine Auslegung, nach der es den Mitgliedstaaten erlaubt wäre, zuzulassen, dass im Widerrufsfall die Kosten der Zusendung zulasten dieses Verbrauchers gingen, liefe diesem Ziel zuwider. Im Übrigen stünde eine solche Belastung des Verbrauchers mit den Kosten der Zusendung zusätzlich zu den unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Ware einer ausgewogenen Risikoverteilung bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz entgegen, indem dem Verbraucher sämtliche im Zusammenhang mit der Beförderung der Waren stehenden Kosten auferlegt würden.
Bewertung:
Die Entscheidung des EuGH ist folgerichtig und war in der juristischen Literatur auch überwiegend so erwartet worden. Bereits vor der Entscheidung waren die meisten deutschen Gerichte davon ausgegangen, dass dem Verbraucher die Kosten der Hinsendung der Ware im Falle des Widerrufes nicht auferlegt werden können (so bspw. LG Hamburg, Urteil vom 02.12.2005, 406 O 127/05; AG Gütersloh, Urteil vom 25.05.2005, 10 C 314/05; OLG Frankfurt, Urteil vom 28.11.2001, 9 U 148/01; OLG Karlsruhe, Urteil vom 5.9.2007, 15 U 226/06; LG Karlsruhe, Urt. vom 19.12.2005, Az. 10 O 794/05). Die gegenteilige Ansicht wurde nur vereinzelt vertreten (OLG Nürnberg, Urteil vom 05.10.2004 - 3 U 2464/04).
Da der Verbraucher bei Fernabsatzgeschäften keine Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung im Einzelnen zur Kenntnis zu nehmen, sieht die FerabsatzRL ein Widerrufsrecht des Verbrauchers vor. Damit es hierbei nicht um ein bloß formales Recht handelt, sollen die Kosten, die, wenn überhaupt, vom Verbraucher im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts getragen werden, auf die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren begrenzt werden. Eine Kostentragungspflicht auch für die Hinsendekosten scheidet mithin aus.
Dr. Robert Kazemi