EuGH: Anforderungen an den Widerruf der Registrierung einer .eu-Domain
Große weltweit tätige Konzerne haben oft erst später erkannt, wie wichtig in den Zeiten multimedialer Kommunikation eine Internetpräsenz ist. Diese späte Erkenntnis und das im Rahmen der Registrierung von Internetdomains bislang nahezu durchgängig praktizierte „first-com-first-serve-Prinzip" führten dazu, dass griffige Internetdomains zum Zeitpunkt in dem die „großen" Marken die Wichtigkeit des Mediums erkannten, bereits durch findige Geschäftsleute registriert worden waren. Viele dieser Geschäftsleute wurden in den Anfangsjahren oft vorschnell als „Domaingrabber" bezeichnet und die Domains wurden den Markeninhabern zugesprochen. Dass dies nicht immer zu billigen Ergebnissen geführt hat, ist spätestens seit der heftig umstrittenen Entscheidung in Sachen „shell.de", in welcher der gleichnamige Ölkonzern gegen einen aus dem Süden Deutschlands ansässigen Herrn Schell auf Herausgabe der Domain klagte und gewann, hinlänglich bekannt.
Gleichsam liegt es auf der Hand, dass das First-Come-First-Serve-Prinzip auch zu unbilligen Ergebnissen führen kann. Daher entwickelten die nationalen Registrare und auch die Gerichte bereits frühzeitig Kriterien, um zu umschreiben, wann eine Domainregistrierung wegen Bösgläubigkeit des Domaininhabers („use in bad faith") wieder rückgängig gemacht werden kann. Zudem wurde das Prinzip des First-Come-First-Serve in vielerlei Hinsicht relativiert.
So auch im Rahmen der seit Dezember 2005 zu registrierenden .eu-Domains, die ein „abgeschwächtes" First-Come-First-Serve-Prinzip vorsah.
Die Registrierung, mit der die „European Registry for Internet Domains" (EURid) in Brüssel betraut ist, begann gestaffelt in drei Phasen, wobei in jeder dieser Phasen ein früher eingereichter Registrierungsantrag Vorrang vor einem später eingereichten besitzt. Die ersten beiden Phasen bildeten eine Vorregistrierungsfrist („sunrise period"), in der die Registrierung allein den Inhabern älterer Rechte und öffentlichen Einrichtungen vorbehalten war; dabei waren in der ersten Phase u. a. die Inhaber eingetragener nationaler und Gemeinschaftsmarken antragsberechtigt. Die Registrierung eines Domänennamens, die in spekulativer oder missbräuchlicher Weise und insbesondere bösgläubig erwirkt wurde, kann nach den EURid-Vorgaben im Wege eines Schiedsverfahrens und gegebenenfalls eines Gerichtsverfahrens widerrufen werden.
Wann diese Bösgläubigkeit anzunehmen ist, ist jedoch schwer zu bestimmen. Die nunmehr vorliegende Entscheidung des EuGH gibt hier hilfreiche Anhaltspunkte (EuGH, Urteil vom 03.06.2010 in der Rechtssache C-569/08 Internetportal und Marketing GmbH / Richard Schlicht); das Urteil zeigt zugleich den Erfindungsreichtum der „Domainer-Branche".
Der Fall:
Ein österreichisches Unternehmen ließ auf der Grundlage der Marke &R&E&I&F&E&N&, die es vorher in Schweden für „Sicherheitsgurte" hatte eintragen lassen, in der ersten Phase der Vorregistrierungsfrist den Domänennamen „www.reifen.eu" registrieren. Es hatte jedoch nicht die Absicht, die Marke &R&E&I&F&E&N& für die Waren, für die sie eingetragen worden war, zu benutzen, sondern plante vielmehr, unter dem auf diese Weise registrierten Domänennamen ein Internetportal für den Reifenhandel zu betreiben. Um den gewünschten Domänennamen „www.reifen.eu" in der ersten Phase der gestaffelten Registrierung registrieren lassen zu können, ließ das Unternehmen aus seiner schwedischen Marke &R&E&I&F&E&N& alle Sonderzeichen „&" entfernen, wofür es sich der in der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 der Kommission vom 28. April 2004 zur Festlegung von allgemeinen Regeln für die Durchführung und die Funktionen der Domäne oberster Stufe „.eu" vorgesehenen Regeln für die Übertragung von Sonderzeichen bediente. Da nämlich diese Sonderzeichen aus technischen Gründen nicht in einem Domänennamen enthalten sein können, ist nach diesen Regeln u. a. ihre Entfernung aus dem zu registrierenden Namen zulässig. Ferner ließ die Internetportal und Marketing GmbH in Schweden als Marken 33 Gattungsbezeichnungen eintragen, in denen vor und nach jedem Buchstaben das Sonderzeichen „&" eingefügt war, und stellte 180 Anträge auf Registrierung von Domänennamen, die Gattungsbezeichnungen entsprechen.
Im Fall des Domänennamens „www.reifen.eu" wurde von dem Inhaber der Benelux-Marke Reifen, eingetragen u. a. für Fensterreinigungsprodukte, das Schiedsgericht bei der Wirtschaftskammer und der Landwirtschaftskammer der Tschechischen Republik angerufen, das für Schiedsverfahren im Zusammenhang mit der Domäne „.eu" zuständig ist. Das Schiedsgericht gelangte zu dem Ergebnis, dass die Internetportal und Marketing GmbH bösgläubig gehandelt habe, entzog ihr den fraglichen Domänennamen und übertrug ihn auf den Inhaber der Marke Reifen.
Die Entscheidung:
Gemäß Art. 21 („Spekulative und missbräuchliche Registrierungen") der Verordnung Nr. 874/2004 gilt:
(1) Ein Domänenname wird aufgrund eines außergerichtlichen oder gerichtlichen Verfahrens widerrufen, wenn er mit einem anderen Namen identisch ist oder diesem verwirrend ähnelt, für den Rechte bestehen, die nach nationalem und/oder Gemeinschaftsrecht anerkannt oder festgelegt sind, darunter die in Artikel 10 Absatz 1 genannten Rechte, und wenn dieser Domänenname
a) von einem Domäneninhaber registriert wurde, der selbst keinerlei Rechte oder berechtigte Interessen an diesem Domänennamen geltend machen kann, oder
b) in böser Absicht registriert oder benutzt wird.
...
(3) Bösgläubigkeit im Sinne von Absatz 1 Buchstabe b) liegt vor, wenn
a) aus den Umständen ersichtlich wird, dass der Domänenname hauptsächlich deshalb registriert oder erworben wurde, um ihn an den Inhaber eines Namens, für den ein nach nationalem und/oder Gemeinschaftsrecht anerkanntes oder festgelegtes Recht besteht, oder an eine öffentliche Einrichtung zu verkaufen, zu vermieten oder anderweitig zu übertragen;
b) der Domänenname registriert wurde, um zu verhindern, dass der Inhaber eines solchen Namens, für den ein nach nationalem und/oder Gemeinschaftsrecht anerkanntes oder festgelegtes Recht besteht, oder eine öffentliche Einrichtung diesen Namen als entsprechenden Domänennamen verwenden kann, sofern:
i) dem Domäneninhaber eine solche Verhaltensweise nachgewiesen werden kann; oder
ii) der Domänenname mindestens zwei Jahre lang ab der Registrierung nicht in einschlägiger Weise genutzt wurde; oder
iii) der Inhaber eines Domänennamens, für den ein nach nationalem und/oder Gemeinschaftsrecht anerkanntes oder festgelegtes Recht besteht, oder der dem Namen einer öffentlichen Einrichtung entspricht, zu Beginn eines alternativen Streitbeilegungsverfahrens seine Absicht erklärt hat, diesen Domänennamen in einschlägiger Weise zu nutzen, dies jedoch innerhalb von sechs Monaten nach dem Beginn des Streitbeilegungsverfahrens nicht getan hat;
c) der Domänenname hauptsächlich registriert wurde, um die berufliche oder geschäftliche Tätigkeit eines Wettbewerbers zu stören; oder
d) der Domänenname absichtlich benutzt wurde, um Internetnutzer aus Gewinnstreben auf eine dem Domäneninhaber gehörende Website oder [eine andere] Online-Adresse zu locken, indem eine Verwechslungsgefahr mit einem Namen, für den ein nach nationalem und/oder Gemeinschaftsrecht anerkanntes oder festgelegtes Recht besteht, oder mit dem Namen einer öffentlichen Einrichtung geschaffen wird, wobei sich diese Verwechslungsmöglichkeit auf den Ursprung, ein Sponsoring, die Zugehörigkeit oder die Billigung der Website oder Adresse des Domäneninhabers oder eines dort angebotenen Produkts oder Dienstes beziehen kann; oder
e) der registrierte Domänenname der Name einer Person ist und keine Verbindung zwischen dem Domäneninhaber und dem registrierten Domänennamen nachgewiesen werden kann.
Der daraufhin durch den Obersten Gerichtshof der Republik Österreich angerufene Europäische Gerichtshof (EuGH) stellt klar, dass Bösgläubigkeit auch durch andere als die in der vorgenannten Gemeinschaftsregelung ausdrücklich aufgeführten Umstände nachgewiesen werden kann, da die darin niedergelegte Aufzählung solcher Umstände nicht abschließender Art ist. Dabei sind grundsätzlich alle im Einzelfall erheblichen Faktoren und insbesondere die Umstände zu berücksichtigen, unter denen die Eintragung der Marke erwirkt wurde, die als Grundlage für die Registrierung des fraglichen Domänennamens in der ersten Phase des Registrierungsverfahrens diente.
Was die Umstände betrifft, unter denen die Eintragung der Marke erwirkt wurde, sind insbesondere zu berücksichtigen
- die Absicht, die Marke nicht auf dem Markt zu benutzen, für den ihr Schutz beantragt wurde,
- eine semantisch und visuell unübliche und sprachlich widersinnige Gestaltung dieser Marke,
- die Erwirkung einer großen Zahl von anderen Marken, die Gattungsbegriffen entsprechen und
- die Erwirkung der Eintragung der Marke kurz vor Beginn der gestaffelten Registrierung von Namen der Domäne oberster Stufe „.eu".
Was die Umstände betrifft, unter denen der fragliche Name der Domäne oberster Stufe „.eu" registriert wurde, sind insbesondere zu berücksichtigen
- die missbräuchliche Verwendung von Sonderzeichen oder Interpunktionszeichen zum Zweck der Anwendung der in der Gemeinschaftsregelung vorgesehenen Regeln für die Übertragung solcher Zeichen,
- die Registrierung in der ersten Phase der gestaffelten Registrierung auf der Grundlage einer Marke, die unter Umständen wie den vorstehend genannten erlangt wurde, und
- die Beantragung der Registrierung einer großen Zahl von Domänennamen, die Gattungsbegriffen entsprechen.
Da vorliegend eine Marke zur Domainregistrierung verwandt wurde, die nur zu dem Zweck ersonnen und eingetragen wurde, den gewünschten Domänennamen in der ersten Phase registrieren lassen zu können, ohne die allgemeine Registrierung von Namen der Domäne oberster Stufe „.eu" abwarten zu müssen, war nach Ansicht des EuGH davon auszugehen, dass offenkundig ein Verhalten vorlag, dass nur darauf abzielte, das Verfahren der gestaffelten Registrierung zu umgehen. Dies allein rechtfertige des Widerruf der registrierten Domain.
Dr. Robert Kazemi