BVerfG: Verfassungsbeschwerde gegen Deckelung der Abmahnkosten bei einfachen urheberrechtlichen Abmahnungen (§ 97a UrhG) nicht zur Entscheidung angenommen
Mit Beschluss vom 20. Januar 2010 - 1 BvR 2062/09 - hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen § 97a UrhG als unzulässig zurückgewiesen und die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Deckelung der Abmahnkosten bei einfachen urheberrechtlichen Abmahnungen damit nicht abschließend beleuchtet. Es dürfte damit weiterhin ungeklärt sein, ob die durch den Gesetzgeber in das Urheberrechtsgesetz aufgenommene Deckelung tatsächlich und in jedem Einzelfall mit der Verfassung in Einklang steht.
Hintergrund:
Durch das Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums (BGBl. I S. 1191) wurde § 97a Abs. 2 UrhG in das UrhG eingefügt. Hiernach kann der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen für die erstmalige Abmahnung einer unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs auf 100 Euro begrenzt sein kann. Im Einzelnen müssen hierfür folgende Voraussetzungen vorliegen:
- erstmalige Abmahnung = keine identischen oder „in ihrem Kern gleich gelagerten Verletzungshandlungen im Verhältnis zum Kläger"
- einfache Lagerung des Falles = Eindeutigkeit der Rechtsverletzung (auch für juristisch nicht Geschulte)
- nur unerhebliche Rechtsverletzung = nach Art und Ausmaß geringfügiger Eingriff in die Rechte des Klägers= außerhalb des geschäftlichen Verkehrs = reiner Privatbereich
Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber dem „Massenabmahnwesen" gerade im Bereich Urheberrechts (wir berichteten über die zahlreichen Filesharing-Prozesse der Vergangenheit) einen Riegel vorschieben. Einfach gelagerte Verstöße sollten nicht mehr mit horrenden Streitwerten verfolgt, Anwälte, die sich auf dieses lukrative Geschäft spezialisiert haben, nicht noch reicher gemacht werden. Alles in allem heere Ziele, ob sie hingegen auch von der Verfassung getragen werden, ist in der juristischen Literatur heftig umstritten.
Die Entscheidung:
Die Entscheidung des BVerfG ist eine Nichtannahmeentscheidung, das Gericht sah die Verfassungsbeschwerde, die sich unmittelbar gegen § 97a Abs. 2 UrhG richtete nicht als zulässig an und verwies den Beschwerdeführer auf den Instanzenzug. Die Entscheidung ist dennoch interessant und klärt zumindest eine der umstrittenen Fragen in Bezug auf den neuen Begrenzungstatbestand:
Die Frage der Rückwirkung der Norm.
Wir berichteten vor einigen Monaten über eine Entscheidung des OLG Brandenburg vom 03.02.2009 (mehr dazu hier), in der das OLG den Kostenerstattungsanspruch eines Urhebers, dessen Lichtbilder von einem Dritten ohne Genehmigung zur Produktpräsentation bei eBay verwandt wurden, hinsichtlich der Erstattungsfähigen Rechtsanwaltskosten für die Abmahnung in Ansehung des neuen § 97a Abs. 2 UrhG auf 100,00 € begrenzt hatte.
So sehr die Entscheidung in Bezug auf den dem Urheber zugesprochenen Schadenersatz zu begrüßen war, so sehr äußerten wir bereits damals Kritik an der Anwendung der nunmehr auch vor dem BverfG streitgegenständlichen Vorschrift des § 97a Abs. 2 UrhG. Der Hintergrund:
Die durch das OLG Brandenburg zur Begrenzung der Abmahnkosten herangezogene Norm des § 97a Abs. 2 UrhG wurde erst im Juli 2008 durch das Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums (BGBl. I S. 1191) in das UrhG eingefügt. Da keine Übergangsfristen normiert wurden, konnte die Regelung damit auch erst ab diesem Zeitpunkt Geltung beanspruchen. Die im Fall des OLG Brandenburg streitgegenständliche Abmahnung hingegen war bereits am 21.11.2007 und damit weit vor in Kraft treten des § 97a Abs. 2 UrhG ausgesprochen worden. Zu diesem Zeitpunkt aber konnte der Urheber darauf vertrauen, dass - im Fall der berechtigten Abmahnung, gleich ob gegenüber einer Privatperson oder einem Unternehmer - auf Basis eines angemessenen Gegenstandswertes vom Schädiger auszugleichen waren. Warum der Kläger hier - nur weil sich das Verfahren über die Gesetzesänderung hinaus hingezogen hat - also einen begrenzten Kostenerstattungsanspruch hat, erschloss sich uns nicht.
Eben diese Bedenken teilt nun auch das BVerfG. Das Gericht führt aus (Rz. 29 - 31):
„Die Gewährleistung eines subjektiven Rechts durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG bedeutet nicht Unantastbarkeit einer Rechtsposition für alle Zeiten; sie besagt auch nicht, dass jede inhaltliche Veränderung einer geschützten Rechtsstellung unzulässig wäre. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ermächtigt den Gesetzgeber, in bereits begründete Rechte einzugreifen und diesen einen neuen Inhalt zu geben. Die Eigentumsgarantie und das konkrete Eigentum sollen keine unüberwindliche Schranke für die gesetzgebende Gewalt bilden, wenn Reformen sich als notwendig erweisen (vgl.BVerfGE 31, 275 <284 f.> ). Die Umformung subjektiver Rechte ist aber nur zulässig, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist (vgl. BVerfGE 31, 275 <290>).
Ob überhaupt in den vom Beschwerdeführer beschriebenen „Altfällen" eine solche beschränkende Umformung eines unter grundgesetzlichem Eigentumsschutz stehenden Forderungsrechts vorliegt, ist zweifelhaft. Die Verfassungsbeschwerde bezieht sich insoweit auf Abmahnvorgänge, die vor Inkrafttreten des neuen § 97a UrhG in Gang gesetzt, jedoch mangels Zahlung der Anwaltskosten durch den Verletzer erst nach Inkrafttreten abgeschlossen wurden oder noch werden.
In der fachgerichtlichen Rechtsprechung werden hierzu unterschiedliche Positionen eingenommen. So wendete das Oberlandesgericht Brandenburg in einem Fall, in dem vor Inkrafttreten der angegriffenen Regelung abgemahnt, jedoch nach Inkrafttreten geurteilt wurde, § 97a Abs. 2 UrhG deswegen an, weil die Norm ohne Übergangsregelung in Kraft getreten sei (Urteil vom 3. Februar 2009 - 6 U 58/08 -, MMR 2009, S. 258 <259>; ebenso Nordemann, a.a.O. Rn. 3). Demgegenüber will das Amtsgericht Halle die Norm nur in Fällen anwenden, in denen die Abmahnung nach dem 1. September 2008 ausgesprochen wurde (Urteil vom 24. November 2009 - 95 C 3258/09 -, juris Rn. 25). Das Landgericht Köln geht ebenfalls davon aus, dass der Norm keine Rückwirkung zukommt, da diese nicht ausdrücklich angeordnet sei (Urteil vom 13. Mai 2009 - 28 O 889/08 -, CR 2009, S. 684 <687>). In ihrer Anmerkung zu diesem Urteil gehen Ebke/Werner der Frage nach, zu welchem Ergebnis eine Anwendung der allgemeinen Grundsätze des intertemporalen Privatrechts führt (CR 2009, S. 687 <688>), und verweisen auf Art. 170 EGBGB. Dieser nicht mehr unmittelbar bedeutsamen Norm wird der allgemeine Grundsatz entnommen, dass Schuldverhältnisse dem Recht unterstehen, das zur Zeit der Verwirklichung ihres Entstehungstatbestandes galt; es bedarf daher einer besonderen gesetzlichen Regelung, wenn sie bei einer Gesetzesänderung nunmehr dem neuen Recht unterworfen werden sollen (vgl. BGHZ 10, 391 <394>; Hönle, in: Staudinger, BGB, Bearb. 2005, Art. 170 EGBGB Rn. 4 ff.; Krüger, in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl. 2006, Art. 170 EGBGB Rn. 2 ff.).
Die Diskussion zeigt, dass in „Altfällen" eine Auslegung des § 97a Abs. 2 UrhG möglich sein dürfte, welche die Urheber nicht ihres einmal entstandenen und somit im Grundsatz nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Aufwendungserstattungsanspruchs weitgehend beraubt. Daher bedarf es aus Gründen der Subsidiarität keines Einschreitens des Bundesverfassungsgerichts." [Hervorhebungen durch den Unterzeichner]
Damit dürfte das BVerfG klargestellt haben wollen, dass eine Anwendung des § 97a UrhG auf „Altfälle" wegen des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbotes nicht in Betracht kommt.
Wie mit der Vorschrift des § 97a Abs. 2 UrhG darüber hinaus zu verfahren sein wird, hat das BVerfG ausdrücklich zunächst den Fachgerichten überlassen. Dabei lässt das Gericht jedoch keinen Zweifel an dem Erfindungsreichtum der „Abmahnanwälte". So heißt es in dem Beschluss:
„Schließlich bleibt abzuwarten, ob sich die Neuregelung überhaupt als wirksam erweist oder ob die Praxis Wege findet, ihren Anwendungsbereich zu minimieren. Dies könnte zum einen aus dem Umstand herrühren, dass die missbräuchliche Abmahnung als solche, bei der es bereits an einem Urheberrechtsverstoß fehlt, von § 97a Abs. 2 UrhG nicht erfasst wird, sondern nur die berechtigte Abmahnung unter Forderung hoher oder überhöhter Anwaltskosten in Bagatellfällen. Weiterhin wird die Norm einen böswilligen Abmahner nicht davon abhalten, allein durch Aufbauen einer Drohkulisse etwa unerfahrene Internetnutzer zur Bezahlung unberechtigter, jedenfalls überhöhter Forderungen zu drängen (vgl. Tyra, ZUM 2009, S. 934 <939 ff.>). Schließlich könnten die in ihrem Urheberrecht in einem von § 97a Abs. 2 UrhG erfassten Fall Verletzten versuchen, durch eine zunächst von ihnen selbst ausgesprochene Abmahnung die hierbei entstehenden Kosten niedrig zu halten, um erst bei Erfolglosigkeit in einem zweiten Schritt einen Anwalt zu beauftragen, dessen Abmahnung nicht mehr „erstmalig" im Sinne von § 97a Abs. 2 UrhG sein könnte (vgl. Nordemann, in: Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl. 2008, § 97a Rn. 36; Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 97a Rn. 15). All dies hätte erhebliche Auswirkungen auf die Eingriffswirkung des § 97a UrhG im Hinblick auf den grundrechtlichen Eigentumsschutz."
Dr. Robert Kazemi