20
Feb 2011

BGH: Zur Zulässigkeit von Werbeanrufen gegenüber Verbrauchern

Unerwünschte Werbeanrufe sind immer wieder Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen. So auch in einer kürzlich bekannt gewordenen Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 10. Februar 2011 (I ZR 164/09 - Telefonaktion II).

Zum Sachverhalt:

Die AOK Plus, die Allgemeine Ortskrankenkasse für Sachsen und Thüringen, hatte sich im Jahr 2003 gegenüber der Verbraucherzentrale Sachsen verpflichtet, es zu unterlassen, Verbraucher ohne deren Einverständnis zu Werbezwecken anzurufen. Ferner hatte sie sich verpflichtet, für jeden Verstoß eine Vertragsstrafe von 5.000 € zu zahlen. Im September 2008 erhielten zwei Verbraucher Werbeanrufe von einem Call-Center, das von der AOK Plus beauftragt worden war. Die Verbraucherzentrale hat die AOK Plus daraufhin auf Zahlung von 10.000 € in Anspruch genommen.

Die beklagte AOK hat behauptet, die Einwilligung der Angerufenen im sog. Double-Opt-In-Verfahren erhalten zu haben: Die Verbraucher hätten an Online-Gewinnspielen teilgenommen, dort ihre Telefonnummer angegeben und durch Markieren eines Feldes ihr Einverständnis auch mit Telefonwerbung erklärt. Daraufhin sei ihnen eine E-Mail mit dem Hinweis auf die Einschreibung für das Gewinnspiel (sog. "Check-Mail") an die angegebene E-Mail-Adresse übersandt worden, die sie durch Anklicken eines darin enthaltenen Links bestätigt hätten.

Die Entscheidung:

In der Pressemitteilung des BGH heißt es hierzu:

„Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Das deutsche Recht geht zwar damit, dass es unaufgeforderte Werbeanrufe stets als unzumutbare Belästigung und damit als unlauter einstuft, über die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken der Europäischen Union hinaus. Aufgrund einer in der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation enthaltenen Öffnungsklausel ist der deutsche Gesetzgeber aber berechtigt, Telefonwerbung gegenüber Verbrauchern generell von deren vorherigem ausdrücklichen Einverständnis abhängig zu machen (sog. "opt in").

Im Streitfall hatte - so der BGH - die beklagte AOK das Einverständnis der angerufenen Verbraucher nicht nachgewiesen. Für diesen Nachweis kommt insbesondere der Ausdruck einer E-Mail des angerufenen Verbrauchers in Betracht, in der er sich ausdrücklich mit der Werbung einverstanden erklärt. Die Speicherung der entsprechenden E-Mail ist dem Werbenden ohne weiteres möglich und zumutbar. Diesen Nachweis hat die beklagte AOK nicht geführt, sondern sich nur allgemein auf die Einhaltung des Double-Opt-In-Verfahrens berufen.

Dieses elektronisch durchgeführte Double-Opt-In-Verfahren ist von vornherein ungeeignet, um ein Einverständnis von Verbrauchern mit Werbeanrufen zu belegen. Zwar kann bei Vorlage der dabei angeforderten elektronischen Bestätigung angenommen werden, dass der - die Einwilligung in Werbeanrufe enthaltende - Teilnahmeantrag für das Online-Gewinnspiel tatsächlich von der angegebenen E-Mail-Adresse stammt. Damit ist aber nicht sichergestellt, dass es sich bei der angegebenen Telefonnummer tatsächlich um den Anschluss des Absenders der Bestätigungs-E-Mail handelt. Es kann zahlreiche Gründe für die versehentliche oder vorsätzliche Eintragung einer falschen Telefonnummer geben. Das Gesetz verlangt aber zwingend, dass der konkret angerufene Teilnehmer vor dem Werbeanruf ausdrücklich sein Einverständnis erklärt hat."

Bewertung:

Die Entscheidung des BGH ist folgerichtig. Das Gericht stellt zunächst klar, dass der deutsche Gesetzeber, der Werbeanrufe bei Verbrauchern generell vom Vorliegen einer zuvor erteilten ausdrücklichen Einwilligung des Angerufenen abhängig gemacht hat, zwar strengere Vorgaben als der europäische Gesetzgeber normiert hat, hierzu berechtigt war. Insoweit sucht die Richtlinie für elektronische Kommunikation gerade nicht nach einer Vollharmonisierung des Verbraucherschutzes, sondern lässt strengere Bestimmungen ausdrücklich zu. Von dieser Befugnis hat der Bundesgesetzgeber Gebrauch gemacht und Werbeanrufe bei Verbrauchern einem generellen Einwilligungsvorbehalt unterstellt.

Anders sieht dies freilich bei Anrufen sonstiger Marktteilnehmer aus.

Gegenüber einem sonstigen Marktteilnehmer (Gewebetreibender oder Angehöriger der freien Berufe) sind die Zulässigkeitsanforderungen an Telefonwerbung gem. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG weniger streng. Der Gesetzgeber spricht von dem Erfordernis einer „zumindest mutmaßlichen Einwilligung". In ausdrücklicher Fortführung der bisherigen Rechtsprechung gilt, dass ein zumindest konkludentes Einverständnis vorliegen oder aufgrund konkreter Umstände ein sachliches Interesse an solchen Anrufen vermutet werden muss (BGH, GRUR 1991, 764, 765 - Telefonwerbung IV; BGH, GRUR 2001, 1181, 1182 - Telefonwerbung für Blindenwaren; BGH, WRP 2004, 603, 605 - Telefonwerbung für Zusatzeintrag; Begründung Regierungsentwurf, Bundestagsdrucksache 15/1487 S. 21; Engels/Salomon, WRP 2004, 32, 39).

Bei dem Schutz sonstiger Marktteilnehmer vor unerbetenen Anrufen geht es nicht, wie bei Verbrauchern, um den Schutz der Privatsphäre. Vielmehr können unerbetene Anrufe bei sonstigen Marktteilnehmern zu belästigenden oder sonstigen unerwünschten Störungen in der beruflichen Tätigkeit und zu einer den Geschäftsgang störenden Belegung des Telefonanschlusses für die Dauer des Anrufes führen. Inwieweit ein sonstiger Marktteilnehmer bereit ist, telefonische Maßnahmen hinzunehmen, hängt grundsätzlich vom Interesse ab, das er der jeweiligen Werbung entgegenbringt (BGH, GRUR 2001, 1181, 1182 - Telefonwerbung für Blindenwaren). Auch wenn ein Gewerbetreibender einen Telefonanschluss vorwiegend im eigenen Interesse unterhält, so rechnet er doch im Allgemeinen mit Anrufen möglicher Geschäftspartner sowie sonstiger Personen, die im eigenen geschäftlichen Interesse mit ihm in Verbindung treten wollen. Hierin liegt der innere Grund, warum die für die Telefonwerbung gegenüber Privaten entwickelten Grundsätze nicht uneingeschränkt auf eine Anrufwerbung im geschäftlichen Bereich übertragen werden können (BGH, GRUR 2001, 1181, 1183; BGHZ 1113, 282, 284 - Telefonwerbung IV).

Es kommt also allein darauf an, ob der Anrufende im Rahmen des Anrufes aufgrund konkreter und tatsächlicher Umständen vermuten darf, dass der Angerufene aufgrund konkreter Umstände ein sachliches Interesse an dem Anruf haben könnte (BGH, GRUR 1991, 764, 765 - Telefonwerbung IV.; BGH, GRUR 2001, 1181, 1182 - Telefonwerbung für Blindenwaren; BGH, WRP 2004, 603, 605 - Telefon-werbung für Zusatzeintrag). Unerheblich ist es, ob ein Telefonat von dem Angerufenen auch tatsächlich gebilligt wird oder nicht.

Ebenfalls richtig sind die Ausführungen des BGH zur Einwilligung im Rahmen des sog. Double-Opt-Ins. Diese Einwilligungsform wird für den Bereich der E-Mail-Werbung als hinreichend angesehen, weil sichergestellt werden kann, dass derjenige der in diesem Verfahren seine „Einwilligung" durch Anklicken innerhalb einer Bestätigungsmail erklärt, auch wirklich Zugriff auf das beworbene E-Mail-Postfach hat, weswegen von einer Einwilligung des „Betroffenen" ausgegangen werden kann. Dies gilt hingegen nicht, wenn - wie vorliegend - über das Double-Opt-In eine Einwilligung in die werbliche Ansprache per Telefon eingeholt werden soll. Hier geht der BGH zu Recht davon aus, dass nicht sichergestellt werden kann, dass es sich bei der angegebenen Telefonnummer tatsächlich um den Anschluss des Absenders der Bestätigungs-E-Mail handelt.

Dr. Robert Kazemi

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