BGH: Zur Einordung eines Internet-System-Vertrages als Werkvertrag und zu den Grenzen AGB-mäßig vereinbarter Vorleistungspflichten des Verwendungsgegners bei Dauerschuldverhältnissen
Mit Urteil vom 04.03.2010 (Az. III ZR 79/09) hat der Bundesgerichtshof (BGH) gleich zwei interessante Probleme näher beleuchtet, zu einen ging es um die Frage, der Einordnung sog. Internet-System-Verträge, zum anderen um die Frage, inwieweit es Unternehmen gestattet ist, für Leistungen im Rahmen langfristiger Verträge (sog. Dauerschuldverhältnisse) in AGB eine Vorleistungspflicht ihrer Kunden zu normieren. Obwohl die Entscheidung im Verhältnis zweier Unternehmer ergangen ist, kann sie gerade in diesem Punkt auch für Verträge gegenüber Verbrauchern fruchtbar gemacht werden.
Der Fall:
Die Parteien schlossen im Juni 2005 einen "Internet-System-Vertrag" des Typs "€ Premium Plus" mit "Editorfunktion" und "Full Service". Nach der vertraglichen Leistungsbeschreibung schuldete die Klägerin dem Beklagten, der ein einzelkaufmännisches Unternehmen betreibt, die Recherche und Registrierung einer Internet-Domain ("Domainservice"), die Zusammenstellung der Webdokumentation - Bild- und Textmaterial - durch einen Webdesigner ("Vor-Ort-Beratung"), die Gestaltung und Programmierung einer individuellen Internetpräsenz nach bestimmten einzeln aufgeführten Vorgaben, das "Hosting" der Websites und Mailboxen auf den Servern der Klägerin sowie die weitere Beratung und Betreuung über eine Hotline. Neben Anschlusskosten von 99 € zuzüglich Umsatzsteuer, die bei Vertragsabschluss zahlbar waren, hatte der Beklagte für die vereinbarte Vertragslaufzeit von insgesamt 36 Monaten ein Entgelt von monatlich 120 € zuzüglich Umsatzsteuer zu entrichten. Zur Zahlung dieses Entgelts trifft § 1 Abs. 1 der im Vertrag in Bezug genommenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Klägerin folgende Regelung:
„Der Berechnungszeitraum beginnt mit dem Datum der Unterschrift unter diesem Vertrag. Das nach diesem Vertrag zu zahlende Entgelt ist am Tag des Vertragsabschlusses und jeweils am selben Tage des folgenden Jahres jährlich im Voraus fällig. Abweichend von Satz zwei ist im ersten Vertragsjahr das Entgelt dreißig Tage nach Vertragsabschluss jährlich im Voraus fällig."
Der Kunde (Beklagte) empfand diese Klausel als unbillig und zahlte lediglich die Anschlusskosten sowie die Gebühr für das erste Vertragsjahr im Voraus, im Übrigen lehnte er eine weitere Vorleistungspflicht ab.
Die Entscheidung:
Der BGH nimmt den Sachverhalt zunächst zum Anlass, einige Grundsätzliche Ausführungen zur Einordung sog. Internet-Provider-Verträge unter die Vertragstypen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vorzunehmen bzw. die hierzu bislang ergangene Rechtsprechung zusammenzufassen.
So qualifiziert der III. Zivilsenat sog. "Access-Provider-Verträge", bei denen die Bereithaltung des Anschlusses und das sachgerechte Bemühen um die Herstellung der Verbindung in das Internet geschuldet wird, als Dienstverträge im Sinne der §§ 611 ff. BGB (Rz. 18 des Urteils), während sog. "Application-Service-Providing (ASP)"-Verträge, bei denen es um die Bereitstellung von Softwareanwendungen für den Kunden zur Online-Nutzung über das Internet oder andere Netze geht, als Mietverträge im Sinne der §§ 535 ff. BGB eingeordnet werden (Rz. 19 des Urteils). Interessant sind des Weiteren die Ausführungen zu den „Web-Hosting"- und "Webdesign"-Verträgen, denen der BGH eher werkvertragliche Schwerpunkte beimisst (Rz. 20 - 22 des Urteils).
Den schlussendlich zu beurteilenden Internet-System-Vertrag, der eine Vielzahl der vorbenannten Vertragselemente beinhaltete, stuft der BGH ebenso als Werkvertrag im Sinne der §§ 631 ff. BGB ein.
Bei Werkverträgen besteht - anders als bei anderen Vertragstypen - eine grundsätzliche Vorleistungspflicht des Werkunternehmers (Beauftragten), so dass die bei Austauschverträgen grundsätzlich vorzufindende Zug-um-Zug-Leistungspflicht hier zu Gunsten des Bestellers eingeschränkt ist. Ordnet man den Internet-System-Vertrag daher als Werkvertrag ein, stellt sich die Klausel als Abweichung von der gesetzlichen Regelung und damit AGB-rechtlich zumindest als kritisch dar. Doch auch bei den Vertragstypen, die eine gleichzeitige Leistungspflicht beider Parteien vorsehen, sind derartige Abweichungen zu Gunsten des AGB-Verwenders nicht unproblematisch. Derartige Klauseln können daher nur dann gerechtfertigt sein, wenn sachliche Gründe für die Normierung einer Vorleistungspflicht sprechen. Während das Berufungsgericht noch davon ausgegangen war, dass dies in der Regel kaum der Fall sein dürfte, wählt der BGH zumindest für den Verkehr zwischen Unternehmern eine differenzierende Betrachtung. In dem Urteil heißt es:
„Sachlich rechtfertigende Gründe findet die Vorleistungspflicht des Kunden zunächst darin, dass der Anbieter bei dem hier vorliegenden "Internet-System-Vertrag" bereits zu Beginn der Vertragslaufzeit die Website zu erstellen und einzurichten sowie die Abrufbarkeit dieser Website im Internet herbeizuführen hat. [...]Der Anbieter (hier: die Klägerin) hat daher ein berechtigtes Interesse daran, mit der Bezahlung jeglichen Entgelts nicht lange Zeit, etwa gar bis zum Ende der Vertragslaufzeit - also: bis zur vollständigen Erbringung der von ihm geschuldeten Werkleistung -, warten zu müssen. Ferner kann dem Anbieter die Zahlung monatlicher Ratenbeträge in dem hier in Rede stehenden Umfang von - lediglich - 120 € zuzüglich Umsatzsteuer einen nicht unerheblichen buchhalterischen Aufwand bereiten und sich eine monatliche Ratenzahlung aus seiner nachvollziehbaren Sicht deshalb als unpraktikabel erweisen.
Dem berechtigten Interesse des Anbieters an einer dem jeweils erbrachten bzw. noch zu erbringenden Aufwand entsprechenden, praktikablen und zeitnahen Entgeltzahlung steht das ebenso berechtigte Interesse des Kunden gegenüber, das Druckmittel der Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§ 320 BGB) für die Durchsetzung seines Anspruchs auf vertragsgerechte Erfüllung (ohne Erfordernis einer Prozessführung) zu behalten und nicht mit dem Risiko der Leistungsunfähigkeit seines Vertragspartners belastet zu werden. Durch die Vorleistungspflicht läuft der Kunde Gefahr, das von ihm geschuldete Entgelt auch dann entrichten zu müssen, wenn der Anbieter die ihm obliegende (Werk-)Leistung überhaupt nicht oder nicht ordnungsgemäß erbringt.
Dem vorerwähnten Interesse des Kunden muss die Vorleistungsklausel auch dann Rechnung tragen, wenn der Kunde ein Unternehmer ist. Denn auch einem Unternehmer gegenüber wäre es nicht angemessen, wenn diesem das wesentliche Sicherungs- und Druckmittel der Einrede des nicht erfüllten Vertrages vollumfänglich und kompensationslos genommen würde. Dem Verwender einer formularmäßigen Vertragsbestimmung ist es gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB - auch bei Verwendung der Klausel gegenüber einem Unternehmer (s. § 310 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB) - verwehrt, durch eine einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zu gewähren, da hierin eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners entgegen den Geboten von Treu und Glauben läge.
Im Ergebnis der sonach gebotenen Interessenabwägung wird § 1 Abs. 1 Satz 2 der AGB den berücksichtigungsfähigen Interessen des Kunden - jedenfalls im unternehmerischen Verkehr - ausreichend gerecht.
Vor dem Hintergrund, dass die Klägerin in aller Regel den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit und ganz überwiegenden Teil der von ihr geschuldeten Leistung am Beginn der Vertragslaufzeit erbringt und demgegenüber auf die noch verbleibenden, in der nachfolgenden Vertragslaufzeit anstehenden Leistungen kein größerer Aufwand entfällt, ist es nicht unangemessen, wenn der Kunde (etwa) ein Drittel der von ihm zu zahlenden Gesamtvergütung (Werklohn) im Voraus zu entrichten hat. [...]"
Bewertung:
Auch wenn der BGH im konkreten Fall die Normierung einer Vorleistungspflicht als angemessen und damit rechtswirksam angesehen hat, sind die Auswirkungen des Urteils nach hiesiger Ansicht erheblich. Die Ausführungen des BGH zeigen deutlich, dass das oberste deutsche Zivilgericht sehr wohl kritisch mit derartigen Vorleistungsverpflichtungen umgeht; es widerspricht - so der BGH - damit grundsätzlich Treu und Glauben, dem Kunden über eine Vorleistungsverpflichtung das Druckmittel der Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§ 320 BGB) für die Durchsetzung seines Anspruchs auf vertragsgerechte Erfüllung (ohne Erfordernis einer Prozessführung) zu nehmen und diesen mit dem Risiko der Leistungsunfähigkeit seines Vertragspartners zu belasten.
Diese Ausführungen werden insbesondere bei sog. Vertragsfallen im Internet nach hiesiger Auffassung Platz greifen. Auch hier ist meist vorgesehen, dass die (versteckten) Gebühren gleich für einen Zeitraum von zwei oder mehr Jahren erhoben und fällig werden. Unter Berücksichtigung des nunmehrigen Urteils des BGH werden derartige Klauseln jedoch kaum als agb-rechts-konform einzustufen sein. Verbrauchern, die auf derartige Angebote hereingefallen sind, ist daher dringend davon abzuraten, die Gebühren hierfür unwidersprochen zu entrichten.
Dr. Robert Kazemi