BGH: Zimt ohne Zucker – Zur Arzneimitteleigenschaft von Zimtkapseln
Mit am 14.01.2010 verkündeten Urteilen (Az. I ZR 67/07 und I ZR 138/07) hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Einordnung von "Nobilin GLUCO Zimtkapseln" und „Diabetruw® Zimtkapseln" als sog. Funktionsarzneimittel durch die Landgerichte (LG) Hannover und Bielefeld sowie die Oberlandesgerichte (OLG) Hamm und Celle als fehlerhaft eingestuft. Nach Ansicht des höchsten deutschen Zivilgerichtes können die vorgenannten Präparate nicht deswegen als Arzneimittel eingestuft werden, weil sich ihre Hersteller im Rahmen der Werbung darauf berufen, der im Zimt enthaltene Wirkstoff könne die Insulin-Empfindlichkeit der Zellen bei Diabetikern stimulieren.
Sachverhalt:
Die Beklagten vertreiben Zimtkapseln als "diätetisches Lebensmittel zur besonderen Ernährung bei Diabetes mellitus im Rahmen eines Diätplans".
Eine Tablette enthält 100 mg Zimtextrakt, ferner Zink, Mangan, Folsäure, Chrom, Selen und verschiedene Vitamine. Auf der Umverpackung und auf der Gebrauchsinformation ist jeweils angegeben:
„Zimt kann im Rahmen unterstützender diätetischer Maßnahmen (Diätplan) den Erhalt gesunder Blutzuckerwerte begünstigen. Für Diabetiker kann es deshalb sinnvoll sein, den Stoffwechsel mit Zimt zu unterstützen. Eine Tablette Nobilin GLUCO Zimt enthält 100 mg eines hochwertigen Zimtextrakts, dies entspricht ca. 1 g Zimt-Pulver. Diabetiker können zudem vermehrt Freien Radikalen aus-gesetzt sein und haben deshalb einen besonderen Bedarf an Antioxidantien. Nobilin GLUCO Zimt erhält daher neben anderen wichtigen Vitalstoffen auch die Antioxidantien Vitamin C, E, Selen und Zink."
Im Internetauftritt eines Beklagten befindet sich zudem folgende Produktinformation:
„Um Glukose in die Zelle aufnehmen zu können, benötigt der Körper das Hormon Insulin. Bei Diabetikern vom Typ 2 ist zwar genug Insulin vorhanden, die Zellen nutzen das Insulin jedoch nicht, oder nur unzureichend, was zur Folge hat, dass nicht mehr genügend Glukose in die Zellen aufgenommen wird. Der im Zimt enthaltene Wirkstoff kann die Insulin-Empfindlichkeit der Zellen stimulieren."
Der Kläger ist der Ansicht, bei dem Mittel der Beklagten handele es sich um ein nicht zugelassenes Arzneimittel, weil es nicht Ernährungszwecken, sondern pharmakologischen Zwecken diene.
Die Entscheidungen:
Mit seinen im Wesentlichen gleich lautenden Entscheidungen ist der BGH dieser Auffassung nunmehr entgegengetreten. Nach Ansicht des 1. Zivilsenates handelt es sich bei den Zimtkapseln um Lebensmittel, die den strengen Anforderungen des Arzneimittelgesetzes (AMG) nicht unterliegen.
Bei der Beurteilung, ob ein Erzeugnis unter die Definition des Funktionsarzneimittels (§ 2 AMG) fällt, sind alle seine Merkmale und insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen Eigenschaften, wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern sowie die Risiken zu berücksichtigen, die seine Verwendung mit sich bringen kann.
Die pharmakologischen Eigenschaften eines Erzeugnisses sind dabei der Faktor, auf dessen Grundlage, ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses, zu beurteilen ist, ob dieses im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt werden kann.
Stoffe, die zwar auf den menschlichen Körper einwirken, sich aber nicht nennenswert auf den Stoffwechsel auswirken und somit dessen Funktionsbedingungen nicht wirklich beeinflussen, dürfen nicht als Funktionsarzneimittel eingestuft werden. Der Begriff des Funktionsarzneimittels soll vielmehr nur diejenigen Erzeugnisse erfassen, deren pharmakologische Eigenschaften wissenschaftlich festgestellt und die tatsächlich dazu bestimmt sind, eine ärztliche Diagnose zu erstellen oder physiologische Funktionen wiederherzustellen, zu bessern oder zu beeinflussen.
Enthält ein Erzeugnis - wie vorliegend - im Wesentlichen einen Stoff, der auch in einem Lebensmittel in dessen natürlichem Zustand vorhanden ist, so gehen von ihnen keine nennenswerten Auswirkungen auf den Stoffwechsel aus, wenn bei einem normalen Gebrauch des fraglichen Erzeugnisses seine Auswirkungen auf die physiologischen Funktionen nicht über die Wirkungen hinausgehen, die ein in angemessener Menge verzehrtes Lebensmittel auf diese Funktionen haben kann (BGH GRUR 2008, 830 Tz. 19 - L-Carnitin II).
Auch wenn der im Zimt enthaltene Wirkstoff MHCP die reduzierte Insulin-Sensitivität der Patienten beeinflusse und dadurch die Senkung der Blutzuckerwerte bewirke, könne die Arzneimitteleigenschaft der Zimtkapseln nicht allein deshalb begründet werden, wie die in den Kapseln enthaltene Menge Zimt von Verbrauchern zwar einmal im Verlaufe eines Tages verzehrt werden könne, dies aber rein tatsächlich nicht täglich geschehe.
Denn für die Feststellung, ob ein Erzeugnis deshalb kein Arzneimittel ist, weil seine Auswirkungen auf die physiologischen Funktionen nicht über die Wirkungen hinausgehen, die ein in angemessener Menge verzehrtes Lebensmittel auf diese Funktionen haben kann, komme es nicht darauf an, ob es bereits zu den normalen Ernährungsgewohnheiten der angesprochenen Verbraucher gehört, eine entsprechende Menge des betreffenden Stoffs mit der Ernährung aufzunehmen.
Bewegt sich die Verzehrmenge von ca. 3 g reinem Zimt (3 Kapseln am Tag) als solche - jedenfalls auf einen einzelnen Tag bezogen - im Rahmen der normalen Ernährungsgewohnheiten, kann folglich die Arzneimitteleigenschaft des Mittels nicht damit begründet werden, der Verbraucher verzehre gewöhnlich nicht jeden Tag eine solche Menge Zimt.
Schlussfolgerungen:
Nur, wenn Anhaltspunkte, die die Beurteilung rechtfertigen könnten, dass eine in einem Produkt enthaltene Menge eines Lebensmittels (hier Zimt), wenn sie nicht nur einmal im Verlaufe eines Tages, sondern bei entsprechender Anpassung der Ernährungsgewohnheiten täglich verzehrt wird, als eine unangemessene Menge anzusehen ist, könnte auf eine pharmakologische Wirkung im Sinne von § 2 AMG geschlossen werden.
Allein der Umstand, dass eine solche tägliche Aufnahme nicht zu den normalen Ernährungsgewohnheiten gehört, also nicht üblich ist, steht der Annahme, es handele sich gleichwohl um den Verzehr einer angemessenen Menge eines Lebensmittels, nicht entgegen.
Dr. Robert Kazemi