06
Feb 2012

BGH: Wettbewerbswidrige Werbung einer gesetzlichen Krankenkasse – Körperschaften öffentlichen Rechts als Adressaten des UWG?

Das Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (kurz: UWG) ist zuweilen ein scharfes Schwert, das gezielt eingesetzt werden kann, um allzu marktschreierische Werbung zu stoppen. Vor allem die im UWG vorgesehene Möglichkeit der Abmahnung und der schnellen Beschäftigung der Gerichte mit einem Sachverhalt über das sog. Einstweilige Verfügungsverfahren, tragen maßgeblich zur Bedeutung des Gesetzes in der Privatwirtschaft bei. Dass sich der klassische Unternehmer im Rahmen seiner Unternehmenspräsentation an die hier normierten Bestimmungen zu richten hat, ist klar; doch wie sieht es aus, wenn staatlich organisierte Einrichtungen unlautere Werbung betreiben? Diese Frage hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Beurteilung vorgelegt (BGH, Beschluss vom 18.01.2012, I ZR 170/10).

Die Beklagte BKK hatte im Internet mit der Aussage:

„Wer die BKK M. jetzt verlässt, bindet sich an die Neue für die nächsten 18 Monate. Somit entgehen Ihnen attraktive Angebote, die Ihnen die BKK M. im nächsten Jahr bietet und Sie müssen am Ende möglicherweise drauf zahlen, wenn Ihre neue Kasse mit dem ihr zugeteilten Geld nicht auskommt und deswegen einen Zusatzbeitrag erhebt."

geworben und damit die Aufmerksamkeit der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs erweckt. Diese sprach daraufhin eine Abmahnung aus und forderte die Krankenkasse zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Die Krankenkasse stellte die irreführende Werbung daraufhin zwar ein, weigerte sich jedoch die geforderte Erklärung abzugeben. Ihrer Ansicht nach, sei sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht Adressatin des UWG und damit auch nicht zur Unterlassung verpflichtet. Sowohl Land- als auch Oberlandesgericht sahen dies anders und verurteilten die Krankenkasse zur Unterlassung. Im Rahmen der nunmehr vor dem BGH geführten Revision vertritt die Krankenkasse ihre Argumentation weiter; offenbar nicht ganz ohne Grund, denn der BGH setzte das Verfahren nunmehr aus und legte die entscheidungserhebliche Frage dem EuGH zur Beurteilung vor.

Hintergrund des Vorlagebeschlusses ist der vermeintlich restriktive Anwendungsbereich der EU-Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, die in Deutschland mit dem UWG ihre Umsetzung gefunden hat. Denn nach Art. 3 Richtlinie 2005/29/EG  soll diese nur auf Geschäftspraktiken eines  "Gewerbetreibenden" Anwendung finden. Ob es sich bei einer Körperschaft öffentlichen Rechts um einen „Gewerbetreibenden" in diesem Sinne handelt, ist deshalb fraglich, weil diese nicht mit Gewinnerzielungsabsicht handeln.

Als "Geschäftspraktik zwischen Unternehmen und Verbrauchern" wird in Art. 2 Buchst. d der Richtlinie jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden bezeichnet, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt. Gemäß Art. 2 Buchst. b der Richtlinie ist "Gewerbetreibender" jede natürliche oder juristische Person, die im Geschäftsverkehr im Sinne dieser Richtlinie im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handelt. Fest steht mithin, dass der Begriff des „Gewerbetreibenden" nicht geleichzusetzen ist mit dem Bundesdeutschen und mithin grds. beispielsweise auch Freiberufler in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen solange eine marktbezogene, wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt.

Der BGH stellt fest, dass der EuGH im Zusammenhang mit der Anwendung der kartellrechtlichen Vorschriften der Art. 81, 82 und 86 EG (jetzt: Art. 101, 102 und 106 AEUV) auf soziale Sicherungssysteme entschieden hat, dass die deutschen gesetzlichen Krankenkassen nicht als Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen tätig werden. Gleichwohl hegt der BGH Zweifel an der Übertragbarkeit dieser Rechtsprechungsgrundsätze auf das Lauterkeitsrecht. Nach Ansicht der Karlsruher Richter erfordert der Zweck des Lauterkeitsrechts, Verbraucher vor Beeinträchtigungen ihrer wirtschaftlichen Interessen durch unlautere Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern zu schützen und damit der Verwirklichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus zu dienen, vielmehr ein weitreichendes Verständnis der Norm und damit eine Anwendung auch auf die in Rechtsform der KöR agierenden gesetzlichen Krankenkassen.

Bewertung:

Es bleibt zu hoffen, dass sich die Ansicht des BGH wird durchsetzen können. Schließlich agieren die gesetzlichen Krankenkassen im „Wettbewerb" um Patienten zu weilen recht aggressiv und - dies zeigt der hier streitgegenständliche Fall - irreführend. Die Krankenkassen oder - allgemeiner KöR - aus dem Anwendungsbereich des UWG herauszulösen, erscheint vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt. Vielmehr zeigt das Einschreiten der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs im vorliegenden Fall die Effektivität einer durch den „Markt" durchgeführten Kontrolle. Mit einer solchen sind die staatlichen Aufsichtsbehörden oftmals überfordert.

Dr. Robert Kazemi

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