BGH: Unangemessene Einflussnahme auf (Augen)Ärzte – Brillenversorgung II
Der sog. verkürzte Versorgungsweg ist heftig umstritten. Auch „kick-back"-Zahlungen an Ärzte und Zahnärzte sind in den vergangenen Monaten oft Gegenstand heftiger öffentlicher Auseinandersetzungen gewesen. Zumeist traf es dabei die Ärzte, die sich an derartigen Konstellationen (rechtswidrig) beteiligt hatten. Nunmehr hat der Bundesgerichtshof (BGH) auch einen Anbieter derartiger „Systeme" wettbewerbsrechtlich zur Verantwortung gezogen (BGH, Urteil vom 24.06.2010 - I ZR 182/08).
Der Fall:
Die Beklagte stellt Augenärzten ihr E. -System zur Verfügung, das aus einem E. -Brillensortiment (in der Anfangsphase ca. 100, später ca. 40 Musterbrillengestelle) und einem E. -Computersystem zur individuellen Brillenanpassung besteht. Nach Eingabe der Patientendaten und Auswahl eines bestimmten Brillengestells in der Augenarztpraxis werden diese Informationen an die Beklagte übermittelt. Bestellt der Patient bei der Beklagten eine Brille, erhält der Augenarzt eine Vergütung von 80 €, bei Mehrstärkenbrillen von 160 €.
Die Entscheidung:
Der BGH sieht, wie auch schon das OLG Stuttgart, in dieser Vertriebsform eine wettbewerbswidrige geschäftliche Handlung des Anbieters, denn diese verleite die angesprochenen Augenärzte zu Verstößen gegen die ärztliche Berufsordnung, da die Entscheidungsfreiheit der angesprochenen Augenärzte unangemessen unsachlich beeinflusst werde.
Durch das Inaussichtstellen einer zusätzlichen Verdienstmöglichkeit in Höhe von 80 € (bei Mehrstärkenbrillen von 160 €) je vermittelter Brille setze die Beklagte einen erheblichen Anreiz, dass Augenärzte entgegen ihren Pflichten aus dem Behandlungsvertrag und dem Berufsrecht nicht allein anhand des Patienteninteresses entscheiden, ob sie einen Patienten an bestimmte Anbieter gesundheitlicher Leistungen verweisen (verkürzter Versorgungsweg). Darin liege eine unsachliche unangemessene Einflussnahme auf die Behandlungstätigkeit des Arztes.
Die von der Beklagten angebotene Vergütung sei zudem für die Augenärzte besonders in einfach gelagerten Fällen attraktiv. Nach der Lebenserfahrung sei daher davon auszugehen, dass die in das Geschäftsmodell der Beklagten einbezogenen Augenärzte auch ohne eine entsprechende vertragliche Verpflichtung ihren Patienten die Brillenlieferung durch die Beklagte zumindest als Alternative zum herkömmlichen Bezug im örtlichen Optikerfachgeschäft anbieten werden. Dafür spreche neben den mit dem E. -Konzept verbundenen zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten des Arztes auch die für den verkürzten Versorgungsweg in der Arztpraxis bereitgehaltenen Einrichtungen, Bestellzettel und Faltblätter, die von der Beklagten zur Verfügung gestellt werden.
Ist naheliegende Folge des E. -Konzepts, dass die Ärzte ihre Patienten regelmäßig auf den verkürzten Versorgungsweg über die Beklagte hinweisen, so seien infolgedessen auch Verstöße gegen das ärztliche Berufsrecht zu erwarten.
Nach § 34 Abs. 5 BOÄ dürfen Ärzte ihre Patienten nicht ohne hinreichenden Grund an bestimmte Anbieter gesundheitlicher Leistungen, zu denen auch Optiker gehören, verweisen. Zweck dieser Bestimmung ist es, die unbeeinflusste Wahlfreiheit der Patienten unter den Anbietern gesundheitlicher Leistungen zu gewährleisten. Weist ein Augenarzt seine Patienten regelmäßig - also auch dann, wenn dafür kein besonderer Grund besteht - auf den verkürzten Versorgungsweg hin, verstößt er gegen diese Vorschrift. Auch bei der im Hinblick auf das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) gebotenen weiten Auslegung des "hinreichenden Grundes" i.S. von § 34 Abs. 5 BOÄ ist die generelle Verweisung an einen bestimmten Optiker mit dieser Vorschrift unvereinbar. Vielmehr lässt sie eine solche Verweisung nur im Ausnahmefall zu (BGH, Urt. v. 21.9.7.2009 - I ZR 13/07, GRUR 2009, 977 Tz. 24 = WRP 2009, 1076 - Brillenversorgung I).
Nach der zumindest auch das Patienteninteresse schützenden Vorschrift des § 3 Abs. 2 BOÄ ist es Ärzten untersagt, im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer ärztlichen Tätigkeit Waren und andere Gegenstände ab-zugeben oder unter ihrer Mitwirkung abgeben zu lassen sowie gewerbliche Dienstleistungen zu erbringen oder erbringen zu lassen, soweit nicht die Abgabe des Produkts oder die Dienstleistung wegen ihrer Besonderheiten notwendiger Bestandteil der ärztlichen Therapie sind. Auch gegen diese Vorschrift verstößt ein Augenarzt, wenn er seine Patienten regelmäßig auf die Möglichkeit der Brillenversorgung im verkürzten Versorgungsweg hinweist.
Es komme auch nicht darauf an, ob die Vermittlungspauschale als eine der Höhe nach angemessene Entschädigung für den Aufwand angesehen werden kann, der durch die Mitwirkung des Arztes oder seines Personals bei der Aufnahme, Eingabe und Weitergabe der für die Brille erforderlichen Werte oder der Auswahl des Brillengestells entsteht. Auch wenn dies der Fall wäre, änderte sich nichts an der Beurteilung des gegen die Interessenwahrungspflicht des Arztes verstoßenden Verhaltens als unzulässig.
Bewertung:
Das Urteil des BGH überrascht ein wenig, nachdem der BGH in der Entscheidung Brillenversorgung I noch festgestellt hatte, dass die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Augenoptiker nicht in jedem Fall unzulässig sei. Auch in der Entscheidung MacDent hatte der BGH eine liberalere Ansicht vertreten und klargestellt, dass die Grundsätze des (zahn)ärztlichen Werberechts nicht eins zu eins auf dem Berufsrecht nicht unmittelbar unterliegende Drittanbieter übertragen werden können. Damals zog das Gericht damit die Grenzen der sog. Störerhaftung wesentlich enger und stellt fest, dass „es unverhältnismäßig und mit der Berufsausübungsfreiheit [der MacDent AG] (Art. 12 Abs. 1 GG) nicht zu vereinbaren [wäre], wenn die wettbewerbsrechtliche Haftung wegen der beanstandeten Werbung - unterstellt sie wäre einem niedergelassenen Zahnarzt berufsrechtlich verwehrt - auf MacDent erstreckt würde."
Nunmehr zieht der BGH diese Grenze offensichtlich nicht mehr. Ob hier eine Umkehr der Rechtsprechung zu erwarten ist, ist eher fraglich. Für den hier streitgegenständlichen Fall und für alle anderen „Konstellationen" dieser Art ist jedoch interessant, dass der BGH nicht darauf abstellt, ob die Ärzte für die Vergütung eine angemessene Gegenleistung erbringen. Dies jedoch war stets zur Rechtfertigung sog. „Kick-Back"-Zahlungen anerkannt. Wie hier in Zukunft verfahren werden soll, ist damit unklar.
Dr. Robert Kazemi