28
Feb 2010

BGH: „Rubbeln oder Glatze?, Vorbeugen mit Coffein!“ – Zur hinreichenden wissenschaftlichen Absicherung der einem kosmetischen Mittel beigelegten Wirkung

Erblich bedingter Haarausfall ist für viele Männer ein ernst zu nehmendes Problem und dort, wo Probleme lauern, ist zumeist auch Geld zu verdienen und zwar für jede Form von „Problemlösern". Einen dieser (vermeintlichen) Problemlöser kennen wir aus Funk und Fernsehen: Das von der Firma Dr. Kurt Wolff GmbH und Co. KG vermarktet Mittel „Alpecin". Der Hersteller des Mittels warb im Jahre 2006 u.a. mit der Aussage „Männer vor die Wahl gestellt: Rubbeln oder Glatze? Das Coffein im Alpecin hält die Haarwurzeln wach, damit die Haarproduktion nicht vorzeitig zurückgeht." Stimmt das oder ist hier eher der „Wunsch Vater des Gewinnstrebens"?

Die Hersteller von Alpecin verwiesen im Hinblick auf die Wirkungen ihres Shampoos auf (unveröffentlichte) Studienergebnisse von „Dermatologen der Universität Jena", die bestätigen sollen, dass die Haarwurzeln mit „Alpecin nicht einschlafen". Die empfand der Verein Sozialer Wettbewerb e.V als irreführend im Sinne des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFBG) und  LG Bielefeld sowie OLG Hamm gaben den Verein Recht. Auf die Revision der Dr. Kurt Wolff GmbH und Co. KG hob der BGH das Urteil des OLG Hamm nunmehr auf und verwies die Angelegenheit zur erneuten Entscheidung zurück an das OLG (BGH, Urteil vom 21.01.2010 - I ZR 23/07; zur selben Thematik auch das Urteil des BGH in Sachen I ZR 27/07 von selben Tag).

Der Fall:

Der Beklagte Hersteller warb in einer Anzeige vom 5. März 2006 unter anderem mit der Aussage:

„Glatze? Vorbeugen mit Coffein!

Beugt Haarausfall vor

Dermatologen der Universität Jena bestätigen: Coffein stimuliert geschwächte Haarwurzeln.

In-vitro-Tests an erblich belasteten Haarwurzeln beweisen, dass Coffein vor dem schädlichen Einfluss des männlichen Testosteron schützt."

Unter dem 12. März 2006 warb er wie folgt:

„Männer vor die Wahl gestellt: Rubbeln oder Glatze?

Das Coffein im Alpecin hält die Haarwurzeln wach, damit die Haarproduktion nicht vorzeitig zurückgeht. Das haben deutsche Wissenschaftler herausgefunden."

Der klagende Verein empfand diese Werbung als irreführend, weil Coffein die ihm zugeschriebene Wirkung in Bezug auf Haarausfall nicht habe. Jedenfalls seien solche Wirkungen nicht wissenschaftlich gesichert. Daran könne insbesondere auch die bislang noch nicht einmal in der Fachliteratur veröffentlichte Studie von Wissenschaftlern der Universität Jena nichts ändern.

Die Entscheidung:

Das OLG Hamm hatte die Unterlassungsklage des Vereins noch gemäß §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG (2004) i.V. mit § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fall 2 LFGB für begründet erachtet. Denn die Beklagte habe ihrem Mittel mit den beanstandeten Aussagen Wirkungen beigelegt, die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert seien. Die von ihr vorgelegte unveröffentlichte Studie des Haarforschungslabors der Klinik für Dermatologie und dermatologische Allergologie der Universität Jena sei noch nicht Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion geworden. Die Studie dürfe daher auch dann, wenn sie lege artis durchgeführt worden und als solche nicht zu beanstanden sei und ihre Untersuchungsergebnisse und Schlussfolgerungen richtig seien, nicht zur Grundlage einer uneingeschränkten Werbung mit entsprechenden Aussagen gemacht werden.

Dem ist der BGH nunmehr - vor allem mit Blick auf die europarechtlichen Anforderungen - der Bestimmung des § 27 LFBG entgegengetreten, nach Ansicht des 1. Zivilsenates, ergebe eine europarechtlich gebotene Auslegung der Vorschrift, dass die hinreichende wissenschaftliche Absicherung i.S. von § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fall 2 LFGB nicht voraussetzt, dass die dem beworbenen Mittel beigelegte Wirkung Gegenstand einer allgemeinen wissenschaftlichen Diskussion geworden ist. Die hinreichende wissenschaftliche Absicherung könne sich vielmehr schon aus einer einzelnen Arbeit ergeben, sofern diese auf überzeugenden Methoden und Feststellungen beruht       .

Hintergrund der Entscheidung:

Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fall 2 LFGB, der als sog. lex spezialis den Irreführungstatbeständen des UWG (dort vor allem §§ 5, 5a UWG) vorgeht, ist es verboten, kosmetische Mittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung gewerbsmäßig in den Verkehr zu bringen oder für kosmetische Mittel allgemein oder im Einzelfall mit irreführenden Darstellungen oder sonstigen Aussagen zu werben. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LFGB liegt eine Irreführung insbesondere dann vor, wenn einem kosmetischen Mittel Wirkungen beigelegt werden, die ihm nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen oder die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sind.

Die Anforderungen, die an den Nachweis zu stellen sind, ob das kosmetische Mittel eine von dem Werbenden behauptete Wirkung besitzt oder nicht müssen nach Ansicht des BGH den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu beachten, dass mit § 27 LFBG die Erhaltung der Volksgesundheit verfolgt wird.

Nach den Vorgaben der Richtlinie 76/768/EWG ist das Verbot eines kosmetischen Mittels wegen Irreführung über die ihm beigelegten Wirkungen danach gegeben, wenn  lege artis durchgeführte Untersuchungen zu dem Ergebnis geführt haben, dass die betreffende Wirkungsaussage zutreffend ist, ablehnende wissenschaftliche Stellungnahmen von unabhängigen Wissenschaftlern zu der betreffenden Studie nicht vorliegen und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Mittel gesundheitsschädlich ist.

Da das OLG Hamm zu diesen Punkten jedoch keinerlei Feststellungen getroffen hatte, war der Rechtsstreit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Gericht zurückzuverweisen.

Bewertung:

Genaue Kenntnisse über den „Haarwuchs" der Mitglieder des 1. Zivilsenates haben wir nicht, es wäre auch verfehlt zu denken, im Rahmen der Zurückverweisung wäre der „Wunsch Vater des Gedankens" gewesen, denn die Entscheidung des BGH überzeugt sowohl im Ergebnis als auch in ihrer Argumentation.

Dabei ist insbesondere zu beachten, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 76/768/EWG, auf die die Vorschrift des § 27 LFBG zurückzuführen ist, bestimmt, dass die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln nicht aufgrund der in dieser Richtlinie und ihren Anhängen enthaltenen Anforderungen ablehnen, verbieten oder beschränken dürfen, wenn sie den Bestimmungen dieser Richtlinie und ihrer Anhänge entsprechen. Der abschließende Charakter dieser Regelung hat zur Folge, dass die Mitgliedstaaten nicht mehr befugt sind, strengere nationale Maßnahmen zum Zweck der Bekämpfung irreführender Werbung in Bezug auf die Merkmale kosmetischer Mittel zu erlassen. Dies aber wäre - wollte man die strengen Anforderungen des OLG Hamm zum wissenschaftlichen Nachweis angewendet wissen - aber der Fall.

Angesichts der auch unter den Sozien der Kanzlei - zum großen Bedauern des Unterzeichners- unterschiedlich schnell  schwindenden Haarpracht, sind wir auch persönlich sehr gespannt auf den Ausgang des Verfahrens, insbesondere dahingehend, ob sich die behauptete wissenschaftliche Effektivität des Coffein-Mittelchens bewahren wird. Warten wir ab, bis zu einer abschließenden Entscheidung werden uns jedenfalls keine grauen Haare gewachsen sein.

Dr. Robert Kazemi

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