06
Mär 2013

BGH: Pharmazeutische Beratung über Apotheken Call-Center

Spätestens seitdem sich auch der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Doc Morris (EuGH, Urt. vom 19. Mai 2009, verb. Rs. C-171/07 und 172/07) mit ausländischen (Versand-)Apotheken beschäftigt hat, sind diese und ihre Handlungsweisen vermehrt Gegenstand der (höchstrichterlichen) Rechtsprechung. So auch der vom BGH als „Pharmazeutische Beratung über Call-Center" bezeichnete Sachverhalt (BGH, Urt. v. 19. Juli 2012, I ZR 40/11), der nunmehr auch in den Entscheidungsgründen vorliegt. Der BGH nutzt das Urteil zu einigen grundlegenden Aussagen über die Beratungstätigkeit (und Beratungspflicht) von Apothekern im Allgemeinen und wieder einmal zur Konkretisierung des Handlungsspielraumes ausländischer Apotheken auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik.

Der Fall:

Die Beklagte ist eine in den Niederlanden ansässige Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach niederländischem Recht. Sie gehört zu einem Konzern, der in Deutschland und in anderen Staaten Drogeriemärkte betreibt. Die Beklagte ist Inhaberin einer niederländischen Apothekenbetriebserlaubnis; sie betreibt an ihrem Betriebssitz eine Präsenzapotheke sowie - auf der Grundlage einer von der zuständigen niederländischen Stelle erteilten Erlaubnis - den Versandhandel mit Arzneimitteln nach Deutschland. Die Beklagte warb im April 2008 ohne deutlichen Hinweis auf ihre Eigenschaft als niederländische Versandapotheke mit einer zur pharmazeutischen Beratung der deutschen Verbraucher eingerichteten Telefon-Hotline, deren Benutzung den Anrufer 14 Cent/Minute kostete. Sie verwandte zudem Allgemeine Geschäftsbedingungen, die die vertraglichen Beziehungen der Beklagten zu ihren Abnehmern in Deutschland dem niederländischen Recht unter Ausschluss des UN-Kaufrechts unterstellen.

Die Entscheidung:

Das Berufungsgericht hat die von der Beklagten vorgenommene pharmazeutische Beratung über eine nur gegen Gebühr in Anspruch zu nehmende Telefon-Hotline mit Recht als nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG, § 11a ApoG, § 17 Abs. 2a Satz 1 Nr. 7, § 20 Abs. 1 ApBetrO unlauter und damit unzulässig beurteilt. Nach der Regelung des § 20 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 ApBetrO [...] hat der Apotheker Kunden im Interesse der Arzneimittelsicherheit zu informieren und zu beraten. [...] Beim Versandhandel mit Arzneimitteln hat der Apothekenleiter gemäß § 17 Abs. 2a Satz 1 Nr. 7 ApBetrO sicherzustellen, dass die behandelte Person darauf hingewiesen wird, dass ihr die Beratung durch pharmazeutisches Personal auch mittels Einrichtungen der Telekommunikation zur Verfügung steht, wobei ihr die Möglichkeiten und Zeiten der Beratung mitzuteilen sind. Die seit dem 12. Juni 2012 geltende geänderte Fassung dieser Vorschrift, nach der die behandelte Person unter Mitteilung der Möglichkeiten und Zeiten der Beratung darauf hinzuweisen ist, dass sie als Voraussetzung für die Arzneimittelbelieferung mit ihrer Bestellung eine Telefonnummer anzugeben hat, unter der sie durch pharmazeutisches Personal der Apotheke mit Erlaubnis zum Versand apothekenpflichtiger Arzneimittel gemäß § 11a ApoG auch mittels Einrichtungen der Telekommunikation ohne zusätzliche Gebühren beraten wird, hat diese Verpflichtung des Apothekenleiters lediglich insoweit ergänzt, als dieser nunmehr auch dafür sorgen muss, dass der Kunde über die Gebührenfreiheit der telefonischen Beratung in der beschriebenen Weise informiert wird. [...] Diese Regelungen lassen erkennen, dass die Informations- und Beratungspflichten des Apothekers und die damit korrespondierenden Informations- und Beratungsrechte des Kunden beim Versandhandel mit Arzneimitteln keinen geringeren Stellenwert haben als beim stationären Handel mit Arzneimitteln. Der Apotheker, der Versandhandel mit Arzneimitteln betreibt, hat danach im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren auch dafür zu sorgen, dass der Kunde sich bei dieser Form der Versorgung mit Arzneimitteln in vergleichbarer Weise wie beim stationären Handel informieren und beraten lassen kann. Der den Versandhandel mit Arzneimitteln betreibende Apotheker musste daher [...] im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren dafür sorgen, dass dem Kunden zur Erlangung der ihm zu erteilenden Informationen und Beratung keine Kosten entstehen, die typischerweise höher sind als die Kosten, die ihm aus Anlass einer Information und Beratung in einer Präsenzapotheke entstehen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass den Kunden im zuletzt genannten Fall angesichts der Apothekendichte in Deutschland in den allermeisten Fällen durch das Aufsuchen einer Präsenzapotheke an ihrem Wohnort oder an ihrer Arbeitsstelle oder auf dem Weg zur Arbeit oder auch beim Einkaufen oder auf dem Weg zum Einkaufen keine gesonderten Kosten entstehen werden. Die Frage, ob der Versandhandel betreibende Apotheker [...] verpflichtet ist, den Kunden eine kostenlose Telefonverbindung anzubieten, braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. [...] Es war auch zuvor nicht zulässig, allein eine Telefon-Hotline zur Verfügung zu stellen, die nur gegen Gebühr in Anspruch genommen werden kann. [...]

Die beanstandete Rechtswahlklausel der Beklagten benachteiligt die Kunden [...] entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, weil sich aus ihr nicht klar und verständlich ergibt, welche Rechtsvorschriften für im Zusammenhang mit der Geschäftsbeziehung zwischen der Beklagten und ihren Kunden entstandene Streitigkeiten gelten sollen. [...]Zu berücksichtigen ist vor allem, dass beim Arzneimittelkauf die dafür geltenden bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen der §§ 433 ff. BGB insbesondere im Bereich der Nebenpflichten durch die nicht zur Disposition der Parteien stehenden, sondern zwingenden öffentlich-rechtlichen Bestimmungen des Apothekenrechts ergänzt und modifiziert werden. So begründet etwa die Bestimmung des § 20 ApBetrO [...] eine statuierte und entwickelte schuldrechtliche (Neben)Pflicht. Dementsprechend haftet der Apotheker bei Verletzung einer nach dieser Bestimmung bestehenden Pflicht nicht nur gemäß § 823 Abs. 2 BGB wegen Verletzung eines Schutzgesetzes, sondern auch wegen Vertragsverletzung (bei Kassenpatienten analog § 328 BGB) auf Schadensersatz. Vor diesem Hintergrund stellt sich die streitgegenständliche Rechtswahlklausel, die nicht nur keine Differenzierung vorsieht, sondern mit der Formulierung "... alle ... Ansprüche ..." im Gegenteil den Eindruck zu erwecken versucht, deutsches Recht sei in keiner Hinsicht anwendbar, als nicht klar und verständlich im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB dar.

Bewertung:

Schade, dass der BGH sich nicht mit der Frage auseinandersetzt, ob die Verpflichtung zur telefonischen Beratung von Kunden im Versandhandel mit Arzneimitteln eine gänzlich kostenfreie Telefon-Hotline erfordert oder, ob es hier ausreicht, die Anwahl zum „Ortstarif" sicherzustellen. Zwar stellt der BGH klar, dass eine Beratung des Kunden mittels E-Mail die telefonische Beratung nicht ersetzen kann, warum er die in der Literatur durchaus diskutierte Frage der „hinnehmbaren" Kosten für eine telefonische Beratung offen lässt, bleibt gleichwohl im Dunkeln. Aus hiesiger Sicht wird der Versand-Apotheker nicht gezwungen werden können, eine kostenfreie Telefonleitung zur Verfügung zu stellen, dies ginge doch weit über das hinaus, was auch der Verbraucher erwartet. Es scheint daher angebracht, hier einen Anruf zum „Ortstarif" zu ermöglichen, 14 ct / Minute sind da jedenfalls schon zu viel.

Dr. Robert Kazemi

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