BGH: Lehrerbewertungen im Internet zulässig „spickmich.de“ – Bald auch bei Ärzten?
Die Einstweilige Verfügung einer Lehrerin gegen das Schülerportal „Spickmich.de", auf dem Schüler anonym an ihre Lehrer Noten verteilen können, hatte im Mai 2007 für erstes Aufsehen gesorgt, denn die besagte Lehrerin war mit Ihrem Verfügungsantrag vor dem Landgericht Köln zunächst erfolgreich. Freie und vor allem anonyme Lehrerbewertungen im Internet sollten Lehrer aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen untersagen können, so der Tenor des damaligen Verfügungsbeschlusses.
Lange aber währte die Freude des Lehrkörpers über den einseitig erlassenen Beschluss nicht, denn schon auf den Widerspruch des Betreibers der Plattform „Spickmich.de" überdachte das Landgericht Köln seine Rechtsansicht und wies den Verfügungsantrag der Lehrerin mit Verfügungsurteil vom 11.07.2007 (Az. 28 O 263/07) zurück. Das daraufhin im Berufungsrechtszug angerufene Oberlandesgericht (OLG) Köln bestätigte diese Entscheidung (Urteil vom 27.11.2007 - 15 U 142/07).
Der Lehrerin war an einer höchstrichterlichen Entscheidung zu der Problematik gelegen, weswegen sie ihre Ansprüche nachfolgend auch im Hauptsacheverfahren durchzusetzen suchte; es ist keine Überraschung, dass ihr Begehren auch im Hauptsacheverfahren durch LG und OLG Köln negativ beschieden wurde. Mit Spannung erwartete man dementsprechend seit längerer Zeit die Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in dieser Sache.
Mit Urteil vom 23.06.2009 (Az. VI ZR 196/08) hat der BGH die Revision der Lehrerin gegen das Urteil des LG Köln nunmehr zurückgewiesen. Freie Rede für freie Schüler?
Bei der als Schüler-Portal konzipierten Homepage spickmich.de, die über mindestens 200.000 - nach Darstellung des Portalbetreibers sogar über 1.000.000 - angemeldete Mitglieder verfügt, können (nur) als Schüler angemeldete Nutzer unter der Rubrik "Meine Schule" allgemein Meinungen über die Schule in vielerlei Aspekten in Form einer Notengebung äußern. So werden die Ausstattung der Schule, das Schulgebäude und auch Faktoren wie der "Flirt-Faktor" bewertet. Auf dieser Schulseite existiert auch ein "Lehrerzimmer", in dem die Namen einzelner Lehrer, die an der Schule unterrichten, verzeichnet sind. Diese Namen werden von den Schülern eingetragen, was nur möglich ist, wenn der Eintragende als Schüler der betreffenden Schule bei www. T .de registriert ist. Um als Schüler eine Registrierung zu der Homepage www. T. de zu erhalten, muss der exakte Name der Schule, ein Benutzername und eine E-Mail-Adresse angegeben werden. An die E-Mail Adresse wird ein Passwort versandt, mit dem sich der Nutzer jeweils anmelden kann. Ferner ist es möglich, sich als "Interessierter" anzumelden, worunter die Beklagten Lehrer oder Eltern verstehen. Dies erfordert ebenfalls die Angabe eines Benutzernamens und einer E-Mail-Adresse. Bewertungen der Lehrer kann nur eine bei T als Schüler registrierte Person und auch nur für die Lehrer der angegebenen eigenen Schule vornehmen. Einsehbar ist die Bewertungsseite für alle als Schüler oder Interessierte registrierten Benutzer. Die Bewertung erfolgt in jedem Fall anonym.
Die klagende Lehrerin sah sich hierdurch in verschiedenster Weise verletzt. Zum einen sah sie in der anonymen Bewertungsmöglichkeit eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. §§ 823, 1004 BGB analog, insbesondere deshalb, weil anonyme Bewertungen nicht dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfallen könnten. Zugleich rügte der Lehrkörper eine Verletzung des Datenschutzrechts, weil unter „spickmich.de" personenbezogene Daten über ihre Person ohne ihre ausdrückliche Einwilligung erhoben würden.
Wie schon das LG und auch das OLG teilt der BGH diese Rechtsauffassung nicht.
In der Pressemitteilung des BGH vom 23.06.2009 (Pressemitteilung Nr. 137/2009 des BGH vom 23.06.2009) heißt es hierzu:
„Unter den Umständen des Streitfalls hat der BGH die Erhebung, Speicherung und Übermittlung der Daten trotz der fehlenden Einwilligung der Klägerin für zulässig gehalten. Zwar umfasst der Begriff der personenbezogenen Daten nicht nur klassische Daten wie etwa den Namen oder den Geburtsort, sondern auch Meinungsäußerungen und Beurteilungen, die sich auf einen bestimmten oder bestimmbaren Betroffenen beziehen. Für die Erhebung, Speicherung und Übermittlung solcher Daten in automatisierten Verfahren gelten grundsätzlich die Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes. Die Erhebung und Speicherung von Daten zur Übermittlung an Dritte ist auch ohne Einwilligung des Betroffenen nach § 29 BDSG u.a. dann zulässig, wenn ein Grund zu der Annahme eines schutzwürdigen Interesses an dem Ausschluss der Datenerhebung und -speicherung nicht gegeben ist. Ein entgegenstehendes Interesse der Klägerin hat der BGH nach Abwägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung einerseits und des Rechts auf freien Meinungsaustausch andererseits für nicht gegeben erachtet. Die Bewertungen stellen Meinungsäußerungen dar, die die berufliche Tätigkeit der Klägerin betreffen, bei der der Einzelne grundsätzlich nicht den gleichen Schutz wie in der Privatsphäre genießt. Konkrete Beeinträchtigungen hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Die Äußerungen sind weder schmähend noch der Form nach beleidigend. Dass die Bewertungen anonym abgegeben werden, macht sie nicht unzulässig, weil das Recht auf Meinungsfreiheit nicht an die Zuordnung der Äußerung an ein bestimmtes Individuum gebunden ist. Die Meinungsfreiheit umfasst grundsätzlich das Recht, das Verbreitungsmedium frei zu bestimmen.
Auch die Zulässigkeit der Übermittlung der Daten an den Nutzer kann nur aufgrund einer Gesamtabwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz des Betroffenen und dem Recht auf Kommunikationsfreiheit im jeweiligen Einzelfall beurteilt werden. Im Streitfall ist im Hinblick auf die geringe Aussagekraft und Eingriffsqualität der Daten und die Zugangsbeschränkungen zum Portal die Datenübermittlung nicht von vornherein unzulässig. Besondere Umstände, die der Übermittlung im konkreten Fall entgegenstehen könnten, hat die Klägerin nicht vorgetragen."
Das OLG ging in seiner Bewertung noch weiter. Es sah den Portalbetreiber sogar zur Bereitstellung einer anonymen Zugangsmöglichkeit aus Rechtsgründen verpflichtet. Denn nach § 4 Abs. 6 Teledienstedatenschutzgesetz habe ein Diensteanbieter dem Nutzer die Inanspruchnahme von Telediensten anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen. Darüber hinaus erfolgen Evaluationen im Hochschul- oder Schulbereich regelmäßig nicht unter voller namentlicher Nennung der Studenten oder Schüler, wodurch auch einer Furcht vor möglichen Sanktionen Rechnung getragen werden kann, so damals das OLG. Es ist aufgrund des Über- Unterordnungsverhältnisses zwischen Lehrer und Schüler nahe liegend, dass letztere bei Veröffentlichung ihres Klarnamens aus Furcht vor negativen Konsequenzen auf eine Kundgabe ihrer Meinung verzichten würden.
Kann aus dem BGH-Urteil nun auch eine Zulässigkeit anonymer Bewertungsportale für Ärzte abgeleitet werden?
Wir meinen nein!
Nach § 11 Abs. 1 Nr. 11 HWG ist es Ärzten als Angehörigen der Heilberufe untersagt, mit Äußerungen Dritter, insbesondere mit Dank-, Anerkennungs- oder Empfehlungsschreiben, oder mit Hinweisen auf solche Äußerungen, zu werben und/oder werben zu lassen.
Diese Vorgabe gilt auch nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-374/05 fort. Denn auch nach der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.03.2004 geänderten Fassung gilt, dass Heilmittelwerbung strengen Voraussetzungen und einer wirksamen Kontrolle zu unterwerfen ist. Heilmittelwerbung muss dementsprechend angemessen sein. Im 45. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 wird dementsprechend auf die Notwendigkeit hingewiesen, übertriebene und unvernünftige Werbung, die sich auf die öffentliche Gesundheit auswirken könnte, zu verhindern. Dieses Gebot spiegelt sich in Art. 87 III der Richtlinie 2001/83/EG wider, nach dem die Arzneimittelwerbung einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern muss.
Öffentlichkeitswerbung für Heilmittel und Heilbehandlungen mit der Äußerungen Dritter ist daher weiterhin verboten, wenn diese sich in willkürlicher, abstoßender oder irreführender Weise auf Genesungsbescheinigungen i.S. des Art. 90 lit. j der Richtlinie 2001/83 beziehen. Art. 90 lit. c der Richtlinie 2001/83 verpflichtet die Mitgliedstaaten ferner, in ihren nationalen Rechtsvorschriften ein Verbot vorzusehen, in der Öffentlichkeitswerbung für Heilmittel und Heilbehandlungen Äußerungen Dritter zu verwenden, wenn diese zu verstehen geben, dass die Verwendung des Arzneimittels zur Unterstützung des allgemeinen Wohlbefindens beiträgt.
Ärzte sollten dementsprechend mit Meinungsforen auf Ihrer Internetseite weiterhin vorsichtig sein!
Dr. Robert Kazemi