22
Sep 2010

BGH: Führung der Bezeichnung „Master of Science Kieferorthopädie“ zulässig – Auswirkungen auf andere Spezialisierungsbezeichnungen, insbesondere „Kinderzahnarzt“

Mit heute veröffentlichtem Urteil hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Führung des Titels „Master of Science Kieferorthopädie" ein Verstoß gegen das zahnärztliche Berufsrecht oder gar eine Irreführung (§ 5 UWG) darstellt. Wie bereits das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf sieht auch der BGH derartige Verstöße nicht als gegeben an (BGH, Urteil vom 18.03.2010 - I ZR 172/08).

Der Fall:

Die Beklagte, eine Zahnärztin, bietet in ihrer Praxis in R. in Nordrhein-Westfalen kieferorthopädische Leistungen an. Sie erwarb durch einen Studiengang an der österreichischen Donau-Universität Krems den Titel "Master of Science Kieferorthopädie", den sie im Rahmen ihrer Internetpräsentation führt.

Die Kläger sind als Zahnärzte mit Praxissitz in der Nachbarstadt M. tätig. Sie führen die von der Zahnärztekammer Nordrhein zuerkannte Fachbereichs-bezeichnung "Fachzahnarzt/Fachzahnärztin für Kieferorthopädie". Sie beanstanden die Führung der Bezeichnung "Master of Science Kie-ferorthopädie" wegen Verstoßes gegen berufsrechtliche Vorschriften und wegen Irreführung des angesprochenen Publikums.

Während das Landgericht (LG) Kleve diese Rechtsansicht noch geteilt hatte, haben OLG und BGH den Antrag als unbegründet zurückgewiesen.

Die Entscheidung:

Die Entscheidung des BGH ist lesenswert und schafft in vielerlei Hinsicht Klarheit hinsichtlich der Grenzen der Verwendung von Zusatz- und Qualitätsbezeichnungen im Heilberufssektor.  Gerade hier sind in den vergangenen Jahren z.T. äußerst restriktive Handhabungen der zuständigen (Zahn)Ärztekammern festzustellen gewesen. Die Rechtsprechung zwischen den für berufsrechtliche Verstöße originär zuständigen Verwaltungsgerichten und der im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzungen anzurufenden Zivilgerichtsbarkeit divergieren; während die Zivilgerichte eine eher liberale Auffassung vertreten, neigen die Verwaltungsgerichte zu einer strengeren Handhabung der Berufsrechtsvorschriften mit Blick auf vermeintliche Verbraucherschutzinteressen.

Zumindest in zivilrechtlicher Hinsicht hat der BGH nunmehr klargestellt, dass auch im Gesundheitssektor vom Leitbild eines verständigen, durchschnittlich informierten Verbrauchers auszugehen ist, der nicht um jeden Preis vor Allem geschützt werden muss.

Zunächst stellt der BGH klar, dass ein Verstoß gegen berufsrechtliche Vorschriften, insbesondere die §§ 33, 35 Abs. 1 Satz 1 Heilberufsgesetz NRW (HeilBerG NRW) und § 12 der Berufsordnung der Zahnärztekammer Nordrhein an der Anwendbarkeit höherrangigem Rechts scheitert. Die vorstehenden Bestimmungen des Heilberufsgesetzes NRW und der Berufsordnung der Zahnärztekammer sind allerdings Marktverhaltensregeln i.S. von § 4 Nr. 11 UWG. Die Bestimmungen regeln die Bezeichnungen, die der kammerangehörige Zahnarzt führen darf. Sie betreffen die Selbstdarstellung des Zahnarztes und wirken sich daher unmittelbar auf seine Werbemöglichkeiten aus.

Nach § 12 Abs. 2 der Berufsordnung der Zahnärztekammer Nordrhein dürfen akademische Titel und Grade nur in der in Deutschland zulässigen Form geführt werden. Zu den akademischen Graden rechnet aber auch der "Master of Science Kieferorthopädie" der Donau-Universität Krems. Rechtsgrundlage für die Verleihung dieses akademischen Grades ist eine Vorschrift des österreichischen Rechts, und zwar § 1 der 403. Verordnung der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur über den akademischen Grad "Master of Science (Kieferorthopädie)", Universitätslehrgang "Kieferorthopädie (MSc)" der Donau-Universität Krems (BGBl. für die Republik Österreich vom 21.10.2004 Teil II). Nach Art. 2, 5 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Österreich über die Gleichwertigkeiten im Hochschulbereich vom 13. Juni 2002 (BGBl. 2004 II S. 127) sind die Inhaber eines in Art. 2 genannten Grades berechtigt, diesen Grad im jeweils anderen Staat zu führen. Zu den österreichischen akademischen Graden, die in Deutschland geführt werden dürfen, gehört der Mastergrad.

Die Verwendung dieser Bezeichnung ist indes nach Ansicht des BGH auch nicht irreführend im Sinne des § 5 UWG.  Denn, mit der beanstandeten Bezeichnung gehe keine Verunsicherung der Kranken einher.

Das Führen von Zusätzen, die im Zusammenhang mit den geregelten Qualifikationsbezeichnungen und Titeln zu Irrtümern und damit zu einer Verunsicherung von Kranken führen können, könne zwar grundsätzlich das Vertrauen in den Arztberuf untergraben und langfristig negative Auswirkungen auf die medizinische Versorgung der Bevölkerung haben. Doch sei zu berücksichtigen, dass die Vielfalt und Unübersichtlichkeit von Spezialisierungen im Gesundheitswesen Verunsicherungen der Patienten von Hause aus mit sich brächte, so dass von den angesprochenen Verkehrskreisen erwartet werden könne, dass sie sich über die Bedeutung der in Rede stehenden Bezeichnungen informieren.

Es bestünden auch keine Verbraucherinteressen, die ein Verbot rechtfertigen und unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohls als verhältnismäßig erscheinen lassen könnten. Nach Ansicht des BGH gehen von der Verwendung der fraglichen Bezeichnung vielmehr keine Gefahren für die Zahngesundheit von Patienten aus. Eine eigenverantwortliche Entscheidung von Patienten, einen Fachzahnarzt der Kieferorthopädie und nicht einen Zahnarzt ohne diese Weiterbildung aufzusuchen, werde durch die beanstandete Bezeichnung nicht in einem ins Gewicht fallenden Umfang betroffen. Eine etwaige Annahme des Verkehrs, aus der Bezeichnung "Master of Science Kieferorthopädie" ergebe sich eine durch gewisse seriöse Standards gesicherte wissenschaftliche Vertiefung des Sach-gebiets der Kieferorthopädie, die der fachzahnärztlichen Weiterbildung entspreche, beruhe zudem allenfalls auf Vermutungen. Stelle der Verkehr in diesem Zusammenhang aber nur Vermutungen an und sei den interessierten Patienten die Einholung von Informationen zumutbar, haben die durch die Führung der beanstandeten Bezeichnung berührten Verbraucherinteressen kein besonderes Gewicht. Sind aber Verbraucherinteressen nur unwesentlich berührt, überwiegt das Interesse der Beklagten, den rechtmäßig erlangten akademischen Grad zu führen, das Interesse der Kläger, dass die Wahl des Zahnarztes nicht durch unrichtige Vorstellungen in der Bevölkerung über die mit der Bezeichnung "Master of Science Kieferorthopädie" verbundene Qualifikation beeinflusst wird.

Bewertung:

Die Entscheidung des BGH ist zu begrüßen. Sie stellt maßgeblich auf das Bild eines verständigen durchschnittlich informierten Verbrauchers ab, der nicht um jeden Preis vor allem und jedem geschützt werden muss bzw. will. Vielmehr ist es so, dass - gerade in Gesundheitsfragen - mittlerweile anzunehmen ist, dass sich Patienten regelmäßig umfassend über das Leistungsspektrum des Zahnarztes / Arztes informieren; nicht umsonst titelte das Handelsblatt „Erst ins Internet, dann zum Arzt".  Den Arztbesuch flankierende Informationsbemühungen der Patienten sind damit heute bereits vielfach gängige Praxis: Jeweils knapp 40 % der Bundesbürger informieren sich vor oder nach Arztbesuchen über Krankheitsbilder, Behandlungsmöglichkeiten oder Medikamente, um auf Arztgespräche besser vorbereitet zu sein bzw. die Aussagen des Arztes zu überprüfen. Diesem Umstand trägt die Entscheidung des BGH in erfreulicher Weise Rechnung. Auch wenn es vorliegend um die Führung eines akademischen Grades ging, wird die Entscheidung - es bleibt jedenfalls zu hoffen - auch im Rahmen anderer Titelführungen Bedeutung erlangen. Insbesondere in Bezug auf die Bezeichnung „Kinderzahnarzt" wird sich die restriktive Ansicht mancher Kammern kaum mehr aufrechterhalten lassen.

Die Angabe „Kinderzahnarzt" bewirkt eine entsprechende Information für den potenziellen Patienten zum Leistungsspektrum des Behandlers und dazu, welche Bereiche zahnärztlicher Tätigkeit in seiner Praxis vorrangig zur Anwendung kommen und dem Patienten zur Verfügung stehen. Die Angabe „Kinderzahnarzt" ist daher generell als sachangemessene und interessengerechte Information für Patienten zu werten und daher nicht berufswidrig. Dieser „Schlagwortbegriff" enthält vorrangig die Information für einen Patienten, dass in der angegebenen Praxis eine entsprechende personelle und gerätemäßige Ausstattung vorhanden ist, um speziell Kinder zu behandeln und dass Behandlungen von Kindern in der Praxis unserer Mandantin vornehmlich durchgeführt werden.

Insbesondere die in der Öffentlichkeit - bis hin zur Sendung SternTV des Privatfernsehsenders RTL - diskutierte Problematik der Erstattungsfähigkeit von „Narkosen für Kinder bei der Zahnbehandlung" zeigt, dass gerade speziell auf die Behandlung von Kindern ausgerichtete „Behandlungsmöglichkeiten" relativ häufig von Patienten nachgefragt werden, weswegen mit der Bezeichnung „Kinderzahnarzt" einem entsprechenden Informationsbedürfnis innerhalb der Bevölkerung Rechnung getragen wird. Dies gilt im besonderen Maße auch für Eltern, denen ein Hinweis auf die Spezialisierung bei der Behandlung von Kindern eine zusätzliche Hilfe bei der Auswahl eines aus ihrer Sicht geeigneten Zahnarztes bietet. Es kann davon ausgegangen werden und scheint fast selbstverständlich, dass einem verständigen Bürger und Patienten bekannt ist, dass eine Behandlung von Kindern auch durch andere Zahnärzte durchgeführt werden kann, dennoch kann in der entsprechenden Aussage eine Patientenirreführung nicht erkannt werden. Vielmehr ist auch hier das Bild des durchschnittlich informierten und verständigen Durchschnittsverbrauchers maßgeblich.

Dr. Robert Kazemi

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