BGH: Boris Becker, der strauchelnde Liebling – Zur den Grenzen der zulässigen Werbung für Presseerzeugnisse im Lichte des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Mit kürzlich veröffentlichtem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 29.10.2009 (I ZR 65/07) zeichnet sich das Ende eines jahrelangen Rechtsstreits zwischen den Herausgebern der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und dem ehemaligen Profitennisspieler Boris Becker ab.
Hintergrund des Streites ist die Neueinführung der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung im Jahr 2001 - genauer die anlässlich dieser von den Herausgebern vorgenommene Werbung.
Der Fall:
Vor dem Erscheinen der Erstausgabe am 30. September 2001 stellte die Beklagte der Fachöffentlichkeit ein Testexemplar der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vor. Dieses Testexemplar ist in der Werbekampagne zur Einführung der Zeitung vom 10. September 2001 bis zum 31. März 2002 in zusammengerollter Form - wie eine Zeitung in Zeitungsrohre gesteckt zu werden pflegt - abgebildet. Die Abbildung zeigte den oberen Teil der Titelseite mit dem Namen der Zeitung. Darunter war links eine Fotografie des damaligen Bundesaußenministers Fischer und rechts ein Portraitfoto Boris Beckers zu sehen. Neben dem Bild Beckers befanden sich die Schlagzeile „Der strauchelnde Liebling" und der Untertitel „Boris Beckers mühsame Versuche, nicht aus der Erfolgsspur geworfen zu werden Seite 17".
Die Werbung erschien auf verschiedenen Werbeträgern und in unterschiedlicher Gestaltung. Sie zeigte stets eine Abbildung des Testexemplars der Zeitung und enthielt oft einen Werbeslogan mit dem Wort „Sonntag", wie etwa „Die schönsten Seiten des Sonntags".
Das Original des in der Werbekampagne abgebildeten Testexemplars der Zeitung zeigte neben einer ausgearbeiteten Titel- und Rückseite nur das vorgesehene Layout; es enthielt keine redaktionellen Beiträge und damit auch nicht den auf der Titelseite für Seite 17 angekündigten Bericht über Boris Becker. Ein solcher Bericht erschien auch in keiner späteren Ausgabe der Zeitung. Die Veröffentlichung des Fotos erfolgte ohne Einwilligung Beckers.
Becker ist daher der Ansicht, die FAZ habe mit der ungenehmigten Verwendung seines Bildnisses in ihrer Werbekampagne sein Recht am eigenen Bild verletzt. Er nimmt die Beklagte auf Zahlung einer fiktiven Lizenzgebühr in Höhe von 2.365.395,55 € in Anspruch.
Das Landgericht München hatte die Beklagte zur Zahlung von 1,2 Mio. € verurteilt. Auch das OLG München sah den Anspruch Beckers dem Grunde nach als gerechtfertigt an. Der BGH vertritt nun eine differenzierende Auffassung und tätigt interessante Ausführungen zu den Grenzen der zulässigen Werbung für Presseerzeugnisse im Lichte des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
Die Entscheidung:
Bildnisse einer Person dürfen grundsätzlich nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet werden (§ 22 Satz 1 Kunst- und Urhebergesetz - KUG). Hiervon besteht nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Der Begriff der Zeitgeschichte ist, um der Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit Rechnung zu tragen, nicht allein auf Vorgänge von historischer oder politischer Bedeutung zu beziehen, sondern vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit her zu bestimmen. Der Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG ist daher eröffnet, wenn eine Werbeanzeige nicht ausschließlich den Geschäftsinteressen des mit der Abbildung werbenden Unternehmens, sondern daneben auch einem Informationsinteresse der Öffentlichkeit dient. Diese Ausnahme gilt hingegen nicht für Verbreitungen, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt wird (§ 23 Abs. 2 KUG), so dass im Rahmen des § 23 KUG stets eine Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Abgebildeten am Schutz seiner Persönlichkeit und dem von der Presse wahrgenommenen Informationsinteresse der Öffentlichkeit vorzunehmen ist.
Diese Interessenabwägung muss - nach Ansicht des BGH - vorliegend weitestgehend zu Gunsten der FAZ ausfallen.
Das Gewicht des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer prominenten Person, die ohne ihre Einwilligung in einer Werbeanzeige abgebildet wird, bemisst sich vor allem nach dem Ausmaß, in dem die Werbung den Werbewert und das Image der Person ausnutzt. Besonderes Gewicht hat ein solcher Eingriff, wenn die Werbung den Eindruck erweckt, die abgebildete Person identifiziere sich mit dem beworbenen Produkt, empfehle es oder preise es an. Erhebliches Gewicht kommt einem derartigen Eingriff auch dann zu, wenn durch ein unmittelbares Nebeneinander der Ware und des Abgebildeten in der Werbung das Interesse der Öffentlichkeit an der Person und deren Beliebtheit auf die Ware übertragen wird, weil der Betrachter der Werbung eine gedankliche Verbindung zwischen dem Abgebildeten und dem beworbenen Produkt herstellt, die zu einem Imagetransfer führt (BGH GRUR 2009, 1085 Tz. 31 - Wer wird Millionär?, m.w.N.). Dagegen hat der Eingriff geringeres Gewicht, wenn die Abbildung einer prominenten Person in der Werbung weder Empfehlungscharakter hat noch zu einem Imagetransfer führt, sondern lediglich die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das beworbene Produkt lenkt.
Vorliegend erweckt die Darstellung Boris Beckers auf der Titelseite der abgebildeten FAZ am Sonntag nicht den Eindruck, der Kläger identifiziere sich mit der beworbenen Sonntagszeitung, empfehle sie oder preise sie an. Die Abbildung des Klägers hat vielmehr das Ziel, das große Interesse der Allgemeinheit an seiner Person zum Zweck der Absatzförderung auf die beworbene Zeitung zu lenken. Die Werbung mit dem Foto des Klägers erschöpft sich demnach in einer bloßen Aufmerksamkeitswerbung für die Sonntagszeitung der Beklagten, ohne den Werbewert oder das Image des Klägers darüber hinaus auszunutzen.
Die Schlagzeile und der Untertitel sind zudem nicht als Herabsetzung zu verstehen, sondern spielen aus der Sicht des Durchschnittsbetrachters der Werbung auf Erfolge und Misserfolge Beckers nach Abschluss seiner Tenniskarriere an. Die beanstandete Werbung beschädigt dessen Ansehen daher nicht, auch wenn sie seine persönlichen Probleme zum Gegenstand hat und ihn nicht unbedingt in einem günstigen Licht erscheinen lässt.
Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht Beckers betrifft damit lediglich die - nur einfachrechtlich geschützten - vermögenswerten Bestandteile seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts einschließlich des Rechts am eigenen Bild und berührt nicht auch seine -verfassungsrechtlich gewährleisteten - ideellen Bestandteile.
Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass auch die Werbung eines Unternehmens für das eigene Presseerzeugnis ebenso wie das Presseerzeugnis selbst den Schutz der Pressefreiheit genießt. Das Grundrecht der Pressefreiheit gewährleistet die Freiheit des Pressewesens insgesamt. Dieser Schutz reicht von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinungsäußerung. Er beschränkt sich daher nicht auf die unmittelbar inhaltsbezogene Pressetätigkeiten, sondern schließt die Werbung für das Presseerzeugnis ein.
Deshalb - so der BGH - kann die Werbung mit der Abbildung einer prominenten Person auf dem Titelblatt einer Zeitung grundsätzlich auch ohne eine diese Abbildung rechtfertigende Berichterstattung im Innern oder auf dem Titelblatt der Zeitung zulässig sein, wenn sie dem Zweck dient, die Öffentlichkeit über die Gestaltung und die Thematik einer neuen Zeitung zu informieren.
Da die Freiheit zur Gründung und Gestaltung von Presseerzeugnissen im Zentrum der Pressefreiheit steht, erstreckt sich deren Schutz in besonderem Maße auf die Werbung zur Einführung eines neuen Presseerzeugnisses. Ein Verlag habe ein erhebliches und berechtigtes Interesse, im Rahmen einer solchen Einführungswerbung mit der Abbildung eines Titelblatts zu werben, um den Werbeadressaten das Aussehen und die Ausrichtung der neuen Zeitung vor Augen zu führen und es ihnen damit zu er-möglichen, das einzuführende neue Presseerzeugnis von bestehenden ähnlichen Presseerzeugnissen zu unterscheiden. Der Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG umfasst deshalb die Werbung mit der Abbildung einer Titelseite, die die Öffentlichkeit beispielhaft über Gestaltung und Inhalt des neuen Presseerzeugnisses informiert.
Die gebotene Abwägung der betroffenen Interessen ergibt daher, dass im Streitfall der Pressefreiheit der Beklagten gegenüber dem Persönlichkeitsrecht Boris Beckers in der Zeit vom Beginn der Werbekampagne zur Einführung der Zeitung am 10. September 2001 und für einen Zeitraum von einem Monat nach dem Erscheinen der Erstausgabe am 30. September 2001 größeres Gewicht zukommt.
Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers wiegt nicht derart schwer, dass die Rechte der Beklagten dahinter unter allen Um-ständen zurücktreten müssten. Die Abbildung des Klägers lenkt lediglich die Aufmerksamkeit der Werbeadressaten auf das Bestehen und die Gestaltung der neuen Zeitung, ohne den Werbewert oder das Image des Klägers darüber hinaus auszunutzen. Bei der Fotografie handelt es sich um eine kleine, neutrale Porträtaufnahme. Sie weist in Verbindung mit dem begleitenden Text auf eine Berichterstattung über den Kläger im Inneren der Zeitung hin, die im Falle ihres Erscheinens grundsätzlich zulässig gewesen wäre. Wäre eine Ausgabe dieser Zeitung mit der abgebildeten Titelseite und der angekündigten Berichterstattung tatsächlich erschienen, hätte die Beklagte jedenfalls in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang mit dem Erscheinen der Zeitung mit einer Abbildung der Titelseite einschließlich der Portraitaufnahme des Klägers für ihre Zeitung werben dürfen.
Da die Werbung der Beklagten das Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht unerheblich beeinträchtigt, war die Beklagte allerdings gehalten, spätestens einen Monat nach dem Erscheinen der Erstausgabe am 30. September 2001, nicht mehr das Testexemplar, sondern ein erschienenes Exemplar ihrer Zeitung in der Werbekampagne abzubilden. Ein Schadenersatzanspruch Boris Beckers steht damit weiterhin im Raum.
Bewertung:
Die Entscheidung des BGH ist im Sinne der Pressefreiheit zu begrüßen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass sich neue Angebote wegen der verfestigten Strukturen und der damit extrem hohen Marktzutrittsschranken auf den Pressemärkten kaum anders als über eine progressive Werbung etablieren können.
Dr. Robert Kazemi