BGH: Auswirkungen des Urteils I ZR 176/06 (missbräuchlichen Ausnutzung einer amtlichen Stellung - „Auskunft der IHK“) auf die Kammern der Freiberufler und die KVen
In einem heute veröffentlichten Urteil hat sich der Bundesgerichtshof (Urteil vom 22. April 2009, I ZR 176/06 - Auskunft der IHK) mit einem Vorfall betreffend die IHK Bocholt beschäftigt. Auf den ersten Blick möchte man als Freiberufler meinen, man könne das Urteil unbeachtet lassen, schließlich berührt das IHK-Gesetz die Freiberufler nicht. Wer das zitierte Urteil so vorschnell bei Seite schiebt, wird sich in der Zukunft sicherlich darüber ärgern, dem Urteil nicht genügend Beachtung geschenkt zu haben. Schon der amtliche Leitsatz gibt erste Hinweise auf die Bedeutung des Falles und seine Übertragbarkeit auf andere Konstellationen. Gibt der BGH dem Urteil noch den Titel „Auskunft IHK", formuliert er im Leitsatz:
„Ein Hoheitsträger, der einerseits Prüfungen abnimmt und andererseits auf erwerbswirtschaftlicher Grundlage Lehrgänge zu deren Vorbereitung anbietet, handelt unter dem Gesichtspunkt der missbräuchlichen Ausnutzung einer amtlichen Stellung wettbewerbswidrig, wenn er gegenüber einem Prüfungsbewerber, den er über sein eigenes Leistungsangebot informiert und der sich daraufhin nach Konkurrenzangeboten erkundigt, erklärt, er wisse von keinen weiteren Angeboten, obwohl ihn der private Wettbewerber über sein Angebot informiert hat. Auf die Unwissenheit des jeweiligen Mitarbeiters kann sich der Hoheitsträger nicht stützen."
Von IHK kein Wort, stattdessen liest man den Begriff „Hoheitsträger", wie noch zu zeigen sein wird, fallen hierunter auch Kammern und KVen.
Der Fall:
Die Klägerin bietet Lehrgänge zur Vorbereitung auf die Prüfung zum "Bilanzbuchhalter (IHK)" an. Die beklagte Industrie- und Handelskammer nimmt die Prüfung zum "Bilanzbuchhalter (IHK)" ab und bietet auch selbst Vorbereitungskurse für diese Prüfung an. Nach dem Vortrag der Klägerin haben zwei im April 2005 durchgeführte Testanrufe bei der Beklagten ergeben, dass deren Mitarbeiter das eigene Fortbildungsangebot herausstellten und Hinweise auf Lehrgänge privater Anbieter unterließen. Hierin sah die Klägerin ein wettbewerbswidriges Verhalten und beantragte, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr auf Anfrage von Interessenten für einen Vorbereitungslehrgang zur Prüfung zum Bilanzbuchhalter nur auf das eigene Angebot und nicht auf bestehende Angebote privater Anbieter hinzuweisen.
Die Klägerin scheiterte mit diesem Antrag sowohl vor dem Landgericht Münster als auch vor dem Oberlandesgericht Hamm, erst der BGH gab der Klägerin recht und verurteilte die IHK wie von der Klägerin beantragt zur Unterlassung.
Die Entscheidung:
Die Vorinstanzen waren davon ausgegangen, dass ein wettbewerbswidriges Verhalten der IHK unter dem Gesichtspunkt der sog. gezielten Mitbewerberbehinderung nur dann in Betracht komme, wenn - was hier nicht bewiesen werden konnte - die Auskünfte bewusst unvollständig erteile, indem sie zur Erlangung eines sachlich nicht gerechtfertigten Vorteils ausschließlich auf Lehrgänge ihrer Akademie hinweise. Da der Mitarbeiter der IHK das Lehrgangsangebot des privaten Mitbewerbers nicht gekannt und daher nicht bewusst verschwiegen habe, scheide ein Unterlassungsanspruch aus.
Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Klägerin führt nun zur Verurteilung der Beklagten durch den 1. Senat des BGH. Das von der Klägerin beanstandete Verhalten der Mitarbeiterin IHK bei dem Testanruf begründet nach Auffassung des Gerichts einen Wettbewerbsverstoß unter dem Gesichtspunkt der missbräuchlichen Ausnutzung einer amtlichen Stellung. Denn die IHK darf - nach den Ausführungen des BGH - im geschäftlichen Verkehr auf Anfrage von Personen, die sich für Vorbereitungslehrgänge zur Prüfung zum Bilanzbuchhalter interessieren, nicht nur auf das eigene Angebot hinweisen, sondern muss auch auf bestehende Angebote privater Anbieter eingehen. Tut sie dies - wie im vorliegenden Fall - nicht, verstößt sie gegen die sich aus ihrer Doppelstellung als Prüfungsbehörde und erwerbswirtschaftlicher Anbieterin von Prüfungsvorbereitungskursen ergebende Verpflichtung, ihre amtliche Stellung nicht zur Förderung ihrer wirtschaftlichen Interessen zu missbrauchen. Denn sie hätte bei Anfragen nach Vorbereitungskursen für die bei ihr abzulegende Prüfung nicht allein über ihr eigenes Angebot informieren dürfen, sondern hätte Interessenten auch auf Angebote privater Mitbewerber hinzuweisen müssen.
Denn eine Körperschaft des öffentlichen Rechts wie die IHK, die neben ihrer Prüfungstätigkeit im Rahmen der beruflichen Fort- und Weiterbildung Lehrgänge zur Vorbereitung auf die Prüfung zum Finanzbuchhalter anbietet, nimmt besonderes Vertrauen für sich in Anspruch. Die Personen, die am Besuch von Fortbildungsveranstaltungen zur Vorbereitung auf die Prüfung zum Bilanzbuchhalter interessiert sind, dürfen daher darauf vertrauen, von der Körperschaft (IHK) sachgerechte Auskünfte über entsprechende Veranstaltungen zu erhalten. Dieses Vertrauen rechtfertigt sich insbesondere aus der Tatsache, dass die Beklagte die Prüfung abnimmt und dabei im Rahmen ihrer örtlichen Zuständigkeit eine Monopolstellung innehat. Körperschaften des öffentlichen Rechts sind daher wegen des ihnen in ihrer amtlichen Funktion entgegengebrachten Vertrauens gehalten, Auskünfte objektiv und sachgerecht zu erteilen.
Hinzu kommt, dass die IHK schon dadurch einen gewissen Vorsprung im Wettbewerb hat, dass sie aufgrund ihrer Stellung als Prüfungsbehörde für viele Prüfungsbewerber die erste Anlaufstation ist und sich für viele schon wegen ihrer Prüfungstätigkeit auch für den Vorbereitungskurs empfehlen wird.
„Nach der Lebenserfahrung werden Prüfungsbewerber häufig davon ausgehen, dass die Körperschaft die Prüfungsanforderungen am besten kennt und daher auch in besonderem Maße dazu berufen sein wird, eine effektive Prüfungsvorbereitung zu gewährleisten", heißt es in den Urteilsgründen.
Weiter heißt es:
„Die Beklagte ist aus diesem Grund verpflichtet, die Mitarbeiter, die sie mit der Erteilung von Auskünften in Prüfungsangelegenheiten und über Lehrgänge zur Prüfungsvorbereitung beauftragt, entsprechend zu instruieren. Ferner muss sie dafür Sorge tragen, dass Informationen, die ihr Mitbewerber über ihre Lehrgänge zukommen lassen, gesammelt und von den zuständigen Mitarbeitern - etwa in Form einer Liste der Anbieter solcher Kurse - Interessenten zur Verfügung gestellt werden."
Entscheidend ist weiterhin, dass der BGH an der früher vertretenen Ansicht, eine wettbewerbsrechtliche Haftung der öffentlichen Hand unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs einer Vertrauensstellung bestehe nur dann, wenn eine Auskunft bewusst unrichtig oder bewusst unvollständig erteilt wird (BGH GRUR 1994, 516, 517 - Auskunft über Notdienste) unter Geltung des neuen UWG nicht weiter festhält, so dass bereits die unbewusste, fahrlässige oder gar nicht erteilte Information als wettbewerbswidrig zu qualifizieren ist.
Konsequenzen für die freiberuflichen Kammern und die KVen:
Die vorgenannten Entscheidungsgründe treffen - im Rahmen der Weiterbildung nach den Weiterbildungsordnungen bzw. im Rahmen der Anerkennung sonstiger Zusatzqualifikationen - gleichsam auch auf die Kammern der Freiberufe und die KVen und KZVen zu. Die vorgenannten Organisationen sind ebenfalls Körperschaften des öffentlichen Rechts und nehmen - aufgrund der ihnen durch den Gesetzgeber übertragenen hoheitlichen Aufgaben - eine den IHKen vergleichbare Sonder- bzw. Monopolstellung ein.
Gleichsam belassen es die genannten Körperschaften nicht dabei, bestimmte Weiterbildungs- und Qualitätsanforderungen aufzustellen. Nein, auch die Kammern, KVen und KZVen bieten mannigfaltig Vorbereitungs- und Schulungskurse auf Basis ihrer Weiterbildungsordnungen an; sei es über die Körperschaft selbst, oder - wie beispielsweise die KV-Nordrhein - über eigens zu diesem Zwecke gegründete Fortbildungsakademien (vgl. Nordrheinische Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung).
Allzu häufig bemängeln Mitbewerber (andere Schuldungs- und Fortbildungsanbieter) diese Praxis, sahen sich, aufgrund der bisherigen Rechtsprechung jedoch oftmals an einem Vorgehen hiergegen gehindert. Der BGH zeigt diesen Konkurrenten nunmehr einen anderen Weg auf. Die Verpflichtung der Körperschaften zum aktiven Hinweis auf ihre Veranstaltungen.
Auch für die Kammern, KVen und KZVen gilt daher in Zukunft:
- Sie sind verpflichtet, ihre Mitarbeiter, die sie mit der Erteilung von Auskünften in Prüfungs- und Weiterbildungsangelegenheiten und über Lehrgänge zur Prüfungsvorbereitung oder zur Weiterbildung beauftragen, entsprechend zu instruieren.
- Ferner müssen sie dafür Sorge tragen, dass Informationen, die ihr Mitbewerber über ihre Lehrgänge zukommen lassen, gesammelt und von den zuständigen Mitarbeitern - etwa in Form einer Liste der Anbieter solcher Kurse - Interessenten zur Verfügung gestellt werden.
- Nach hiesiger Ansicht gilt dies auch für die bei zahlreichen Kammern zu findenden Internetinformationen über Fort- und Weiterbildungskurse. Auch hier müssen alle Mitbewerber, die die Anforderungen erfüllen und darum ersuchen, in das Internetangebot zwingend aufgenommen werden.
Dr. Robert Kazemi