Aktuelle Entwicklungen im Reiserecht
Im Reise- und Luftverkehrsrecht tut sich momentan einiges. Die Marschrichtung bleibt dabei weitestgehend immer dieselbe: Der Verbraucher muss geschützt werden.
I.
Das aktuellste Urteil in Sachen Flugverspätung wurde am 26.02.2013 vom EuGH (Az.: C-11/11) getroffen. Hierin geht es um die Verspätung eines Zubringerfluges um weniger als 3 Stunden, der jedoch dazu führt, dass der Anschlussflug nicht erreicht werden kann und deshalb eine Verspätung am Ankunftsort von mehr als 3 Stunden erfolgt.
Im vorliegenden Fall buchte die Klägerin einen Flug von Bremen über Paris und Sao Paulo (Brasilien) nach Asuncion (Paraguy). Sie erhielt bereits am Ausgangsflughafen alle Boardkarten. Der Flug Bremen - Paris wurde von Air France durchgeführt und war bereits fast 2,5 Stunden verspätet, weshalb die Klägerin den Anschlussflug nach Sao Paulo (ebenfalls durchgeführt von Air France) verpasste. Die Klägerin wurde umgebucht und erreichte ihr Endziel mit einer Verspätung von 11 Stunden gegenüber der ursprünglich geplanten Ankunftszeit.
Der BGH hat diesen Fall dem EuGH vorgelegt und wollte wissen, ob einem Fluggast eines Fluges mit Anschlussflügen auch dann eine Ausgleichszahlung zusteht, wenn die Verspätung zum Zeitpunkt des Abfluges weniger als 3 Stunden beträgt, der Gast sein Endziel jedoch mit einer Verspätung von mehr als 3 Stunden erreicht. Dies hat der EuGH mit der vorliegenden Entscheidung bejaht.
Er führte hierzu aus, dass die Fluggastverordnung (Verordnung [EG] Nr. 261/2004 vom 11.02.2004) auf zwei verschiedene Arten der Verspätung abstellt. Zum einen die Abflugverspätung, in Art. 6, zum anderen die Ankunftsverspätung, bspw. im Rahmen von Art. 5, der Vorschrift über die Flugannullierungen. Seit der „Sturgeon"-Entscheidung des EuGH vom 24.11.2009, Az. C-402/07 und 432/07 (bestätigt durch Urteil vom 23.10.2012, C581/10 und C-629/10) sind auch Verspätungen von mehr als 3 Stunden Flugannullierungen gleichzustellen. Auch im Falle der Verspätung wegen eines verpassten Anschlussfluges sei der Passagier den gleichen Unannehmlichkeiten ausgesetzt, wie der Fluggast eines annullierten Fluges. Der Begriff „Endziel" bezieht sich dabei auf jenes Ziel, welches auf dem am Abfertigungsschalter vorgelegten Flugschein angegeben ist bzw. bei direkten Anschlussflügen der Zielort des letzten Fluges.
Offen bleibt in diesem Urteil allerdings, ob der Fall ebenso zu behandeln ist, wenn der Zubringerflug von einer anderen Fluggesellschaft ausgeführt wird. Liest man sich Art. 2 lit. f der Verordnung durch,
„‚Flugschein' ein gültiges, einen Anspruch auf Beförderungsleistung begründendes Dokument oder eine gleichwertige papierlose, auch elektronisch ausgestellte Berechtigung, das bzw. die von dem Luftfahrtunternehmen oder dessen zugelassenem Vermittler ausgegeben oder genehmigt wurde"
legt dies den Schluss nahe, dass dem nicht so ist.
Interessant ist dieses Urteil insbesondere deshalb, weil der BGH noch im November 2012 (Urteil vom 13.11.2012, Az.: X ZR 12/12) entschieden hat, dass bei einer aus mehreren Flügen bestehenden Flugreise jeder Flug einzeln zu betrachten ist.
II.
Unter dem 31.01.2013 urteilte der Europäische Gerichtshof (Az.: C‑12/11), dass Fluggäste im Falle einer Flugannullierung (oder großer Verspätung von mehr als 3 Stunden) in jedem Fall Betreuungsleistungen, gem. Art. 9 der Verordnung Nr. 261/2004, seitens des Flugunternehmens erhalten müssen. Dies sei - anders als im Rahmen der Ausgleichszahlungen - auch dann der Fall, wenn die Verspätung oder Annullierung auf ein „außergewöhnliches Ereignis" zurückzuführen sei. Im vorliegenden Fall ging es um den Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull, der die teilweise Schließung des europäischen Luftraumes und damit die Annullierung des Fluges herbeigeführt hatte. Die Verpflichtung zu Betreuungsleistungen sei damit immer erforderlich, um das in der Verordnung Nr. 261/2004 (sog. Fluggastverordnung) zum Ziel gemachte „hohe Schutzniveau für Fluggäste" sicherzustellen. Erhalte er diese nicht, kann der Fluggast Ersatz der ihm entstandenen Kosten verlangen.
Darüber hinaus wurde die Frage diskutiert, welchen zeitlichen und finanziellen Umfang die Betreuungsleistungen haben müssen. In der Verordnung selbst steht hierzu nichts; eine „Unverhältnismäßigkeit" zu Lasten der Unternehmer kann der Gerichtshof hierin jedoch nicht erblicken. Der EuGH führt hierzu aus:
„Die Bedeutung, die dem Ziel des Schutzes der Verbraucher und somit auch der Fluggäste zukommt, kann nämlich negative wirtschaftliche Folgen selbst beträchtlichen Ausmaßes für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen (Urteil Nelson)."
Dies bedeutet nun jedoch nicht, dass sich der Fluggast während der Wartezeit in ein „5-Sterne-Luxushotel" nebst 3-Gänge-Menü auf Kosten der Fluggesellschaft einbuchen könnte, wenn anderweitige Hilfen nicht angeboten werden. Vielmehr müssen die Kosten „notwendig, angemessen und zumutbar" sein. Welche Leistungen dies genau sein sollen, legte der EuGH jedoch nicht fest, sondern überlässt diese Auslegung den nationalen Gerichten. Unter die notwendigen Betreuungsleistungen fallen gem. Art. 9:
- Mahlzeiten und Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit
- Hotelunterbringung, falls ein Aufenthalt von einer Nacht notwendig ist
- Beförderung zwischen Flughafen und dem Ort der Unterbringung
Die Entscheidung bleibt nah am Verordnungstext und schließt dabei die Verordnungserwägungen mit ein.
III.
Auch das Oberlandesgericht Celle hat am 07.02.2013 ein Urteil (Az.: 11 U 82/12) zugunsten der Verbraucher gefällt. Nach dem Pressebericht des OLG Celle ging es in dem Urteil, in dem der Bundesverband der Verbraucherzentralen gegen einen Reiseveranstalter geklagt hatte, um eine gängige Klausel in Pauschalreiseverträgen, nach denen eine nachträgliche, einseitige Änderung der im Reisebüro mitgeteilten Flugzeiten durch den Reiseveranstalter möglich ist („Die endgültige Festlegung der Flugzeiten obliegt dem Veranstalter mit den Reiseunterlagen"). Bei der Klausel handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung, die aus Sicht der Richter unzulässig ist. Eine völlig freie Flugzeitenänderung ohne Angabe von Gründen könne sich der Veranstalter nicht vorbehalten. Bei den Flugzeiten handele es sich um einen Leistungsbestandteil des abgeschlossenen Vertrages (vielen Urlaubern ist es wichtig, nicht allzu früh oder allzu spät fliegen zu müssen), der nicht ohne Weiteres einseitig geändert werden dürfe.
Das Gericht hat zudem entschieden, dass auch die Klausel in den Pauschalreiseverträgen „Informationen über Flugzeiten durch Reisebüros sind unverbindlich" ebenfalls unzulässig sei. Dies würde den Eindruck vermitteln jegliche Aussagen des Reisebüros hinsichtlich der Flugzeiten seien unverbindlich. Gibt das Reisebüro jedoch keine eigene Auskunft, sondern leitet für den Reiseveranstalter lediglich die Flugzeiten weiter, muss sich der Reiseveranstalter hieran festhalten lassen. Für den Verbraucher sei jedoch jeweils nicht erkennbar, aus welchem Leistungsbereich die Angaben herrührten.
Es bleibt abzuwarten, ob der Reiseveranstalter gegen das Urteil Berufung einlegt.
IV.
Das Amtsgericht Bremen hat ein weites interessantes Urteil getroffen (Urteil vom 22.11.2012 - 9 C 0270/12).
Die Kläger waren für einen bestimmten Flug gebucht, der um 9:40 Uhr am Zielflughafen landen sollte; tatsächlich landete der Flieger um 19:06 Uhr. Die Fluggesellschaft bot den Klägern einen Ersatzflug für den nächsten Tag an, den diesen auch durchführten. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Fluggesellschaft hieß es u.a.:
„Klageeinschränkungen
Gerichtliche Klagen auf Schadensersatz müssen innerhalb von zwei Jahren, beginnend mit dem Tag der Ankunft des Flugzeugs oder dem Tag, an dem das Flugzeug hätte ankommen sollen, erhoben werden."
„KLAGEEINSCHRÄNKUNGEN
Das Recht auf Schadensersatz erlischt, wenn nicht innerhalb von zwei Jahren, gerechnet vom Tage der Ankunft am Bestimmungsort oder vom Tage, an dem das Flugzeug planmäßig hätte ankommen sollen, oder vom Tage, an dem die Beförderung abgebrochen wurde, Klage eingereicht wird. Das Verfahren zur Berechnung der Frist bestimmt sich nach dem Recht des angerufenen Gerichts.
Das Amtsgericht hat zum einen entschieden, dass es unerheblich sei, dass die Kläger einvernehmlich eine Umbuchung auf den nächsten Tag vorgenommen haben. Hierin sei kein Verzicht auf die Ausgleichsleistung zu erblicken, vielmehr handele es sich um eine gezwungenermaßen auf die Verspätung zurückzuführende organisatorische Maßnahme. Der ursprünglich gebuchte und verspätete Flug müsse nicht wahrgenommen werden; der Fall sei vielmehr mit einer Annullierung vergleichbar. Auch in diesem Fall erreiche der Fluggast sein Ziel mit einem anderen Flug als dem ursprünglich geplanten.
Das beklagte Flugunternehmen machte zudem die Verjährungseinrede aufgrund o.g. Geschäftsbedingungen geltend. Das Amtsgericht hat diese Bestimmungen jedoch als unzulässig angesehen. Die Fluggastverordnung selbst treffe zur Verjährung keine Aussage, so dass die nationalen Vorschriften anzuwenden sind.
Die Klausel hinsichtlich der Klagefrist entspricht ihrem Wortlaut nach Art. 35 des Montrealer Übereinkommens vom 28.05.1999; hiernach kann ein Schadensersatz nur innerhalb der genannten Ausschlussfrist erfolgen. Auf den Ausgleichsanspruch kann diese Vorschrift jedoch nicht angewandt werden. Beim Ausgleichsanspruch fehlt es an einem nachzuweisenden Schaden. Bei der Auslegung der AGB ist daher davon auszugehen, dass diese nicht unter den dort verwendeten Begriff „Schadensersatz" fallen.
Selbst wenn man davon ausginge, dass der Ausgleichsanspruch unter den Begriff Schadensersatz fiele, wäre die Klausel unwirksam, da sie dann einen Verstoß gegen § 309 Nr. 7 BGB darstellte. Mangels entsprechender Einschränkung werden auch vorsätzliche oder grob fahrlässig begangene Pflichtverletzungen zeitlich beschränkt. Bereits eine Begrenzung der Haftung führt jedoch zur Unwirksamkeit der Klausel.
Eine schlüssige Begründung, die den Flugunternehmen weitere Einschränkungen zulasten der Fluggäste verwehrt.
V.
Ein weiteres Urteil des Amtsgericht Nürtingen vom 25.01.2013 (Az.: 46 C 1399/12) wirkt demgegenüber schon etwas verbraucherunfreundlicher. Hat es doch entschieden, dass das ausschließlich dasjenige Flugunternehmen passiv legitimiert sein kann, das den Flug auch tatsächlich durchgeführt hat. Klingt zunächst logisch: Ich fliege mit Fluggesellschaft A und kann dann nicht Fluggesellschaft B verklagen. Vorliegend erhielt der Kläger jedoch eine Boardkarte, die das Design der Fluggesellschaft A hatte. Zudem handelte es sich bei der (den Flug tatsächlich durchführende) Fluggesellschaft B um eine 100 %-ige Tochter der Fluggesellschaft A. Dies soll nach Ansicht des Amtsgerichts jedoch keine Rolle spielen, da es sich hier um zwei rechtlich selbstständige juristische Personen handelt. Ausreichend soll es sein, dass der Fluggast die den Flug tatsächlich durchführende Fluggesellschaft beim Einsteigen in das Flugzeug erkennen kann. Gleiches soll wohl auch bei den sog. „Code-Sharing"-Flügen gelten. In diesen Fällen bietet beispielsweise Fluggesellschaft A auf ihrer Internetseite einen Flug von Köln nach Sylt an. Dieser wird über die Internetseite der Fluggesellschaft A gebucht. Der Flug wird jedoch durch Fluggesellschaft B durchgeführt.
Rein juristisch betrachtet eine korrekte Lösung; ob der korrekte Klagegegner für den Verbraucher jedoch immer so eindeutig zu erkennen ist, ist fraglich.
VI.
Interessant ist zudem die Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 01.03.2013; hiernach gilt ab diesem Tage die Verordnung über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr (Verordnung (EU) Nr. 181/2011). Die Bestimmungen seien vergleichbar mit den Rechten der Luft-, Eisenbahn- und Schiffsreisenden. Interessant ist insbesondere, dass der volle Fahrpreis erstattet wird, sofern eine Reise von mehr als 250 km annulliert wird oder eine Verzögerung von mehr als 2 Stunden gegenüber der vorgesehenen Abfahrtszeit eintritt. Gleiches gelte für den Fall der Überbuchung. Werde dem Reisenden durch das Busunternehmen nicht die Wahl zwischen Weiterreise mit geänderter Streckenführung und Fahrpreiserstattung gegeben, muss zusätzlich eine Entschädigung in Höhe von 50% des Fahrpreises erfolgen. Auch in dieser Verordnung sind Hilfeleistungen (Essen, Trinken, ggfs. Übernachtungen) vorgesehen bei Annullierung einer Fahrt oder einer Verzögerung der Abfahrt um mehr als 90 Minuten bei Fahrten von über drei Stunden. Auch dies gilt nur bei Fahrten von mehr als 250 km.
RAin Juliane Kazemi